Second Life & Co: Achtung, die Businesskasper kommen!

Himmel wirf Hirn vom Himmel. Man hat aus dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende nicht gelernt. Kaum hat sich die Netzgemeinde vom werbeverseuchten „Web 1.0“ in ihr besser organisiertes „Web 2.0“ geflüchtet, meint die versammelte Marketingmischpoke auch hier, das Füllhorn entdeckt zu haben. Der letzte Schrei ist „adical„, das nun auch den Berufsbloggern durch Bannerschaltung Werbeeinahmen verspricht. Welche Ausmaße dies annehmen wird, bleibt abzuwarten. Doch es kommt noch schlimmer: Für die Businesskasper der Welt ist Second Life derzeit DIE Zukunft. Prompt faselt man schon vom Web 3.0.

Wahnsinn, eine virtuelle Welt in der man sich mit anderen Menschen trifft, chatten kann und Werbung platzieren! Dass Second Life eine grottige Grafik hat und irgendwie vollkommen langweilig ist, kann der durchschnittliche Businesskasper ja nicht wissen. Er kennt halt Spiele wie „World Of Warcraft“ nicht. Seine Kenntnisse haben gerade erst die Evolutionsstufe von Excel nach Powerpoint mit vielen lustigen Cliparts überschritten. Aber schon die Benutzung eines Instant-Messengers stellen für ihn eine unüberwindbare Hürde da.

Aber auch World of Warcraft (WoW) ist eine virtuelle Welt. Für den Businesskapser ist das aber nur was für Spielekiddies. Kann man ja nicht ernst nehmen. Die hauen sich am Computer ja nur ständig eins auf die Fresse und ganz morbide Typen probieren es dann auch mal in der Schule aus. Was er dabei nicht merkt: WoW hat derzeit bereits über acht Millionen aktive, zahlende Kunden weltweit. Zwar laufen diese lieber Keulenschwingend als Orks oder Zauberer durch die Gegend als virtuell aufgestylt durch eine Grafikwelt der späten 90er Jahre zu fliegen, aber gemessen an den User- und Verkaufszahlen erinnert Second Life (Rund 50.000 zahlende Kunden) dagegen doch eher an eine Spielwiese für gelangweilte Windows-Solitairspieler.

Aber es kommt noch schlimmer. Wahrscheinlich noch unter den Nachwehen des medial aufgeblasenen Second-Life-Hypes stehend, phantasiert man bei IBM nun wieder von virtuellen dreidimensionalen Einkaufswelten, in denen sich die Nutzer bald durch die dritte Version des World Wide Web bewegen würden. Keine „Links“ mehr, sondern nur noch „Pforten“: Von einem Geschäft zum nächsten. Objekte würden dreidimensional dargestellt, man könne Produkte drehen und wenden. Wie innovativ.

Hallo? Das hat es alles schon gegeben und hat sich absolut nicht durchgesetzt. Kein Mensch hat Bock auf langes Gelatsche durch grafiklastige Phantasiewelten wenn er im Internet einfach nur schnell auf der Suche nach einer CD, meinetwegen auch Socken oder ein paar Büchern ist.

Ich hab zwar nichts dagegen, mir bei meiner nächsten Urlaubsplanung mein Wunschhotel dreidimensional anschauen zu können. Wenn ich jedoch den Flug buche, ziehe ich eine schöne zweidimensionale und übersichtlich gestaltete Webseite einem flippig-virtuellen Reisebüro mit virtuellen Zettelchen an der Wand und einer virtuellen Reiseverkehrskauffrau auf jeden Fall vor. (Höchstens wenn sie auf Kommando strippt). Und: Die Darstellung drehbarer Objekte sind spätestens seit der allgemeinen Verbreitung von Flash in jedem Browser längst kein Problem mehr. Komisch, dass es kaum einer nutzt. Vielleicht weil ein Foto einfach reicht?

Wer erinnert sich noch an den Boom der Multimedia-Infotainment-Software Ende der 90er Jahre? Die großen Datenmengen die auf eine CD und DVD passen, machte es möglich: Kein textlastiges Nachschlagewerk mehr, sondern virtuell betretbare Bibliotheken taten sich auf … und floppten gnadenlos. Keiner wollte sich endlos durch 3D-Welten klicken, wenn er auf der Suche nach eine Information war. Übersichtliche Textseiten, gerne bebildert oder mit Ton- und Videobeispielen versehen waren gefragt und haben sich letztendlich auch am Markt behauptet.

Ihr Businesskasper der Welt, wacht auf und kommt wieder zurück in euer First Live. Nicht alles was machbar ist, stößt auch auf Nachfrage. Web 2.0 ist entstanden, weil es von Menschen für Menschen erschaffen wurde. Ihr könnt es nicht verbessern, indem ihr es ein bisschen bunter macht und Web 3.0 nennt.

Surftipps:
Web 3D heißt das Internet der Zukunft
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