Von der Kultivierung der Totalüberwachung

CCTV Camera (cc) Mike FlemingEigentlich wundert es mich wenig, dass in Zeiten regelmäßig auftretender nebulöser Terrorwarnungen so mancher Bürger zum Paranoiker wird. So geschehen nun auch in Garbsen bei Hannover, als eine Lehrerin für das Fach „Werte und Normen“ einen ihrer Schüler aufgrund falscher Verdächtigungen anonym bei der Polizei als Islamist anschwärzte.

Während die Folgen für den Schüler nach Medienberichten Überwachungsmaßnahmen, gesellschaftliche Ausgrenzung und letztendlich der Abbruch der Ausbildung waren, unterrichtet die Denunziantin weiterhin über ethische Grundsätze unserer Gesellschaft.

Was haben wir aber auch alles über uns ergehen lassen müssen. RFID-Chips im Reisepass, ein elektronischer Personalausweis, Bankdaten freihaus für US-Ermittler und die -vorläufig auf Eis gelegte – Datenkrake „Elena“ sind nur der Anfang. Die hessische Polizei zum Beispiel scannt seit kurzem wieder fröhlich Nummernschilder vorbeifahrender Autos an Schnellstraßen. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht die massenhafte anlasslose Speicherung der Kennzeichen untersagt, aber das kann doch den neuen hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) nicht aufhalten. Statt rund um die Uhr und stationär wird eben nur noch zu bestimmten Zeiten an Brennpunkten gesammelt. Hoffentlich „tun“ die Verfassungshüter jetzt nicht mehr „uffmugge“.

Und dann noch das: Im Mai schwärmen tausende Freiwillige zur Volkszählung aus, um rund 10 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Fragen zu ihren Lebensumständen zu löchern. Wer sich weigert, riskiert strafen. Dass sich unter den Fragestellern dann auch rechtsradikale NPD-Schergen befinden könnten die eine Chance wittern politische Gegner auszuspionieren, setzt dem ganzen Mist noch die Krone auf. Wer kontrolliert die Hobby-Blockwarte eigentlich auf Zuverlässigkeit? Ein Trostpflaster gibt es: Niemand muss die lästigen Klinkenputzer in die Wohnung lassen. Man kann die Fragebögen auch entgegennehmen, alleine ausfüllen und per Post abschicken.

Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.

Marie von Ebner-Eschenbach

Hey, aber keine Sorge. Ganz unten im Süden bei den Schweizern ist das mit der Paranoia noch viel schlimmer: Wer im Kanton Luzern ein Hotelzimmer bucht, darf sich besonders sicher fühlen, nicht von Gangstern umgeben zu sein. Die Polizei kommt nämlich regelmässig vorbei und gleicht die Daten aller Hotelgäste mit ihrer Verbrecherdatenbank ab. Als Luzerner Hotelgast können Sie also sicher sein, polizeilich registriert zu werden. Über 800.000 Besuchern ist es mittlerweile so ergangen.

Mal ehrlich, im Vergleich dazu eignen sich die paar Bilderchen auf Google Streetview als Datenschutz-Aufreger doch so gut, wie eine Maus zum Elefanten verscheuchen.

Und keine Sorge, die kürzlich gekippte Vorratsdatenspeicherung sehen wir bestimmt auch bald wieder. Vielleicht nur unter einem neuen Namen. Die Legitimierung holt man sich zurvor mit ein paar Horrorgeschichtchen. Terror, Kinderporno – irgendwas wird sich schon finden.

Also was regen wir uns eigentlich noch auf? Die Regierung macht es vor, die Bürger machen es nach. Mein Nachbar hat neuerdings einen langen Bart, ich glaub ich ruf mal den Verfassungsschutz an….

Foto: (cc) by-sa 2.0 von Mike Fleming

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7 Kommentare

  1. Ne Anmerkung zu den Blockwarten bei der Volkszählung: Das dürften größtenteils Schüler/Studenten sein die Geld verdienen wollen, weil man da recht ordentlich bezahlt wird (um die 7€/Interview). Also nicht nur freiwillige Blockwarte sondern auch Leute die einen kleinen Job suchen.

  2. Ich kann ja allem zustimmen, bis auf diesem ständigen rumhacken auf dem Zensus. Ich habe von denen Gegnern noch keine guten Argumente gehört; es will hoffentlich keiner die Notwendigkeit dieser Erhebung bestreiten – Die letzten Daten stammen von ich glaube 1983. seitdem wurde nur hochgerechnet, d.h. nicht mal nach der Wende wurde da was neues erhoben. Dass sich da Fehler einschleichen in den Meldedaten, ist doch normal. Und dass man diese Daten benötigt, steht außer Frage (danach berechnen sich die Zuwendungen an die Gemeinden, es können für Bundesländer auch Bundesratssitze dranhängen, etc. pp.)
    Ich frage mich auch, ob man sich die Fragebögen denn schon mal angeschaut hat. Dort finde ich nichts wirklich datenschutzkritisches vermerkt, bis auf die Religionszugehörigkeit und diese muss man nicht angeben. Den Rest finde ich ungefähr so privat wie meine Hauswand…
    Außerdem muss man auch mal loben, welche Vorkehrungen bei den Erhebungsstellen getroffen werden: Da gibt es nämlich wirklich eine komplette separate Infrastruktur und in den Statistischen Landesämtern sind die zuständigen Referate sogar komplett abgeriegelt von dem restlichen Gebäude.
    Ich finde, dass ist das erste Verfahren, wo sich der Staat mal um Datenschutz gedanken gemacht hat. Ich gebe 100 Mal lieber da meine Daten an, als den neuen Perso zu besitzen.
    Und die Erheber sind doch genauso zur Verschwiegenheit verpflichtet, wie man es heutzutage in fast jedem Job ist. Wenn die Leute was ausplaudern, werden sie verklagt – So läuft das üblicherweise in einem Rechtsstaat.

  3. „Als Luzerner Hotelgast können Sie also sicher sein, polizeilich registriert zu werden.“ – Quatsch. Richtig ist „Als schweizer Hotelgast können Sie sicher sein, polizeilich überprüft zu werden.“ Die Meldezettel gehen immer an die Polizei. Ob diese dann die Hotelgäste immer fichiert, das darf bezweifelt werden, aber angeschaut werden die Meldezettel sicher. Wie sieht es denn mit deutschen Hotelmeldezetteln aus? Kommt man da noch immer mit „Graf Koks auf Reisen“ durch?
    „Mein Nachbar hat neuerdings einen langen Bart“ – Bin ich nicht, mein Bart ist kurz. Ich wurde aber mal von einem begnadeten Polizisten so eingestuft: „Sie haben einen Bart. Sie könnten Terrorist sein.“ Idioten.

  4. Hallo Dirk,
    und danke für Deinen Kommentar. Zur Volkszählung: Ich frage mich, wozu? Die meisten Menschen hier in Deutschland sind bei den Einwohnermeldebehörden registriert. Mit Geburtsdatum, Wohnort, Konfession, ob ledig oder nicht, etc. Die Behörden wissen, ob ich Kinder habe oder nicht. Sie wissen, wie alt diese sind und wann sie in die Schule müssen. Die Behörden wissen auch wann ich in Rente gehe und meine Finanzlage ist den Behörden auch bestens bekannt. (Siehe die Gründe, die auf der Zensus Homepage (http://www.zensus2011.de/der-zensus-2011/artikel/wofuer-der-zensus-gut-ist.html) für die Erhebung angegeben werden. Das sind für mich alles Dinge, die der Staat mit den vorhandenen Daten bereits erheben könnte. Wobei ich bereits das Zusammenführen dieser Daten ohne mein Einverständnis für fragwürdig halte. Aber generell: Sie wären vorhanden.

    Da mag man nun einwerfen: Okay, die Zahlen sind nicht immer ganz korrekt. Ja, mag sein. Da sage ich aber: Eine Volkszählung an 10 Prozent der Haushalte macht es nicht genauer. Ich frage mich also, was das ganze soll. Meiner Meinung nach, wissen die Behörden genug um sich optimal auf die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung einstellen zu können.

    Kurzum: Die mir bislang vorliegenden Gründe für eine so durgeführte Volkszählung haben mich nicht überzeugt. Und die Zwangserhebung setzt dem ganzen noch die Krone auf…

  5. Die Lehrerin hat doch nur das umgesetzt, wozu der Berliner Innensenator Körting in Zeiten der Terrorwarnung (gilt die eigentlich jetzt immer noch…?) aufgerufen hat:

    „Wenn wir in der Nachbarschaft irgendetwas wahrnehmen, dass da plötzlich drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen oder ähnlich, und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen, dann sollte man, glaube ich, schon mal gucken, dass man die Behörden unterrichtet, was da los ist.“

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/koerting-stellt-fremde-unter-generalverdacht/2935314.html

  6. @Dennis
    Wie du schon sagst, der Staat kann viele dieser Daten bereits erheben. Daher ist der Zensus ja auch ein registergestütztes Verfahren und wird durchgeführt, indem die verschiedenen Datenbank abgeglichen werden. Was du in dem ersten Absatz kritisierst, wird also bereits getan.
    Dadurch sind die 10% auch ausreichend, die du hier beschreibst. Viele Fehler werden ja alleine schon dadurch gefunden, indem man die Register abgleicht und Inkonsistenzen findet (z.B. Fehlerhafte Schreibweisen in Adressen und dadurch doppeltes Auftauchen in Statistiken). Wenn man 10% der gesamten Stichprobe befragt, kann man mittels geeigneter Verfahren das durchaus sehr korrekt hochrechnen, deutlich genauer als es momentan möglich ist. Auch momentan wird ja jährlich ein Micro-Zensus durchgeführt!
    Was du auch ausführst ist ja auch nicht, dass du die Ziele nicht sinnvoll findest, sondern du kritisierst dass die Maßnahmen (Daten schon vorhanden, geringe Stichprobe, …) nicht geeignet sind, dieses Ziel der höheren Genauigkeit und Korrektheit zu erreichen. Dass diese Maßnahmen aber durchaus sinnvoll sind, wird auch von den potentiellen Gegnern (z.B. Datenschutzbeatragten) nicht kritisiert, es beruht auch auf festen mathematischen Grundlagen.

    Und die Zwangserhebung ist halt notwendig, um die Statistik möglichst genau zu halten. Man hat natürlich in gewissen sozialen Schichten deutlich höhere Rücklaufraten als in anderen bei solchen Befragungen. Durch eine Pflicht kann man das ausgleichen. Und ich finde, sowohl vom Aufwand als auch von der Privatheit der Daten ist das sehr vertretbar – Halt ungefähr so privat wie meine Hauswand bei Street View…

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