Google Street View: Die Stunde der Hypokriten

Hui, da haben wir aber ein Thema gefunden, bei dem man sich als Politiker jetzt vorzüglich als Verfechter der Privatsphäre profilieren kann: Ogott, mein Haus ist im Internet zu sehen? Skandal! Dass die gleichen Leute, die sich jetzt wie ein Rudel Robin Hoods so wehement für den Schutz der Privatsphäre des Bürgers einsetzen, gleichzeitig so Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, biometrische Reisepässe, Nacktscanner am Flughafen oder das SWIFT-Abkommen zum Transfer der Kontobewegungen in die USA aussprechen – um nur einiges zu nennen –  ist blanker Hohn!

Auf der einen Seite können sie gar nicht genug Daten von uns bekommen, auf der anderen Seite führen sie mit Google Street View eine hervorragende Scheindebatte und geben sich als Hüter von Datenschutz und Privatsphäre aus. Hier mal ein paar Kostproben…

Vorratsdatenspeicherung

Ilse Aigner (CSU), Bundesministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz ist von Google Street View gar nicht begeistert. Sie sorgt sich in einer Bürgerantwort auf abgeordnetenwatch.de bereits sehr detailliert über die Aufnahmehöhe von 2,90 Meter, bei der man ja sogar mehr sehen könne als ein „normaler Passant“, der an einer hohen Hecke an einem Haus vorbeigeht:

Hintergrund des Engagements des BMELV für einen effektiven Datenschutz bei der systematischen Veröffentlichung von Hausansichten im Internet ist, dass wir hier am Anfang einer völlig neuen Entwicklung stehen. […] Für äußerst problematisch halten wir in diesem Zusammenhang auch die Aufnahmehöhe von 2,90 Meter, da hierdurch teilweise Bereiche betroffen sind, die von Passanten nicht eingesehen werden können. Dies betrifft nicht nur den Blick über die Hecke, sondern auch z.B. den Blick in Erdgeschosswohnungen/Hochparterre.

Auf die Frage des Lesers, warum sie bei Street View so kritisch sei, aber bei staatlichen Datensammelaktionen wie ELENA oder der Vorratsdatenspeicherung nicht, ging sie in ihrer Antwort nicht weiter ein. Hier hilft eine weitere Recherche in abgeordnetenwatch.de:

Als es um die mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht gestoppte Vorratsdatenspeicherung ging, war Frau Aigner weniger zimperlich. Die Telekommunikationsanbieter sollten verpflichtet werden, systematisch das Kommunikationsverhalten eines jeden Bürgers sechs Monate lang zu speichern: Also wann und wie lange ein Telefonat von A nach B geführt wurde und wann und wie lange eine Internetverbindung aufgebaut war oder wann und zu wem eine E-Mail gesendet worden ist. So schrieb sie 2007 auf abgeordnetenwatch.de warum sie sich für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatte:

Für etwaige Eingriffe in den privaten Lebensbereich durch solche Ermittlungsmaßnahmen muss es jedoch hohe Schranken geben. Die vor kurzem verabschiedeten Regelungen tragen dem voll Rechnung. So werden bei der Vorratsdatenspeicherung keine Gesprächsinhalte aufgezeichnet, sondern lediglich die Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert.

Na da konnten wir ja froh sein, dass man „nur“ die Verbindungsdaten, nicht aber auch noch die Inhalte speichern wollte. Google fotografiert doch auch nur die Häuserfronten und nicht etwa wo Oma ihr Sparschwein im Küchenschrank hinter dem Mehl deponiert hat.

SWIFT-Abkommen

Oder Bundesinnenminister Thomas de Maiziére. Zu Google Streetview äußerte er sich kritisch. So zitiert ihn etwa Spiegel Online mit den Worten:

Wir müssen sehr sorgfältig darauf achten, wann […] aus etwas Normalem, der Blick auf eine Häuserfassade mit Klingelschildern und Briefkästen, ein weltweit möglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen werden kann

Beim der jüngst vom EU-Parlament durchgewunkenen Verlängerung des SWIFT-Abkommens hat er hingegen keine Bedenken. Im Gegenteil:

Ich begrüße, dass ab sofort das US-TFTP fortgesetzt werden kann. Das heutige Inkrafttreten stellt demnach einen wichtigen Schritt für die Gewährleistung der Sicherheit sowohl der EU-Mitgliedstaaten als auch der USA dar.

Also wie immer das übliche Blabla von wegen „mehr Sicherheit“ und „Kampf gegen den Terror.“ Hinter dem Abkommen verbirgt sich nichts anderes, als das die Kontodaten sowie die Anschrift eines jeden EU-Bürgers, der eine außereuropäische Bank-Überweisung oder innereuropäische Bargeldanweisung tätigt, an die US-Behörden übermittelt werden. Offiziell heisst das Ganze dann „Abkommen zwischen der EU und den USA über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung an das US-Finanzministerium für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Terrorist Finance Tracking Program – TFTP).“ Na, dafür gibt man seine Privatsphäre bei Geldüberweisungen doch gerne auf. Wie heisst es so schön? „Wer nichts zu verbergen hat…“

Da frage ich mich, wovor die ganzen Häuslebesitzer auf Streetview denn Angst haben? Vielleicht irgendwelche baulich nicht genehmigten Hauserweiterungen, die auffliegen könnten? Keine Sorge, dafür haben in den USA schon die Satellitenbilder auf Google-Earth ausgereicht. Ließe sich Street View nicht irgendwie mit dem Thema Sicherheit und Terrorbekämpfung in Verbindung bringen? Ich wette, schnell würde sich die politische Meinung zu dem Projekt ändern.

Adress-Handel  zu Werbezwecken

Wer erinnert sich noch an die Story mit der Datenschutznovelle im vergangenen Jahr? Im Zusammenhang mit dem Handel von Adressdaten zu Werbezwecken sollten Unternehmen persönliche Daten ihrer Kunden nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen weiterverkaufen dürfen. Doch Wolfgang Bosbach (CDU) fand das gar nicht so toll. Er verteidigte den Adresshandel solange dies dem Kunden deutlich gemacht würde. Widersprechen könne man ja auch im Nachinein. Schließlich einigte sich die Koalition auf einen windelweichen Kompromiss. Die Daten dürfen also weiterhin weitergegeben werden, solange die Unternehmen „in drucktechnisch besonderer Gestaltung“ dieses Vorhaben auch ankündigen. Einer expliziten Erlaubnis der Betroffenen bedarf es weiterhin nicht.

Bei Google Street View ist ihm diese nachträgliche Widerspruchsmöglichkeit komischerweise nicht so genehm. So zitiert ihn die Mitteldeutsche Zeitung, dass es ihm persönlich lieber wäre, wenn Google Street View die Häuserfassaden nur nach vorheriger Zustimmung der Eigentümer aufnehmen dürfte. Aber selbst Bosbach hat bemerkt, dass dies wohl nur schwer umzusetzbar ist. „Aber damit wäre vermutlich das Geschäftsmodell tot“, so sein Kommentar.

Künstliche Sommerloch-Empörung

Aber auch die Aufregung in die Medien über das „böse“ Street View Projekt ist schwer nachzuvollziehen. Da wird eine Kulisse aufgebaut, die mit der Realität nur wenig zu tun hat. So titelte die Münchner TZ: „Google kennt ihre Wohnung.“ Wie meinen? „Kennt“ meine Wohnung? Google „kennt“ nur das, was Hinz und Kunz auch kennen, wenn sie an meinem Haus vorbeischlendern. Und Street View hat dabei noch einen großen Nachteil: Die Bilder sind nicht „live“, werden innerhalb kürzester Zeit veraltet sein und dürften somit einem Gauner der einen Bruch vorbereiten will, wohl wenig Hilfestellung geben.

Man bekommt irgendwie den Eindruck, endlich wieder einen gemeinsamen Feind gefunden zu haben, gegen den man sich auch erfolgreich zur Wehr setzen kann. Und Zeitungen und Magazine übertrumpfen sich mit „Service am Bürger“ indem sie Anleitungen zum Widerspruch gegen die Google-Bilder verbreiten. Hach muss das schön sein, endlich mal wieder ein Aufregerthema im Sommerloch. Und Politik und Medien ziehen an einem Strang.

Wenn ich als Bürger schon nicht verhindern kann…

…. dann will ich wenigstens einen riesen Aufriss machen, wenn jemand es wagt, meine Hausfassade zu fotografieren.

Nachschlag:
Wenn Google-Home View kommt, dann sprechen wir uns wieder!

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39 Kommentare

  1. Dass unsere Pappnasenpolitiker da ihren Wendehals drehen, finde ich (erschreckenderweise) mittlerweile ja normal. Aber dass sich normale Netzbenutzer daran derart aufgeilen können, entzieht sich meinem Verständnis. Sehr gut am Ende die Zusammenfassung: Wo war denn die Empörung, als der e-Pass still und heimlich im Zimmerchen zusammen mit den Lobbyisten beschlossen wurde? Ich hab nix gehört.

  2. Pingback: CARTA
  3. Zu der Aufregung in den Medien sollte man evtl. erwähnen, dass Google aktuell ja auch das Ziel des geplanten Leistungsschutzrechtes ist, d.h. die Medien sehen gerade in Google einen Feind der ihnen Werbeeinnahmen klaut.
    Da ist es dann kein Wunder, wenn die großen Zeitungen und Springer diese Chance nutzen um Stimmung gegen Google zu machen, wäre es ihnen doch nur recht wenn Google beispielsweise zerschlagen würde.

  4. Schön geschrieben.

    Besonders lustig fand ich die Aussage von Linken-Politiker Bodo Ramelow: „Aber Street View ist äußerst heikel, weil der Nutzer die Perspektive eines Fußgängers einnehmen kann.“

  5. Pingback: Stecki's Blog
  6. Danke für diesen schönen Artikel. Irgendwann wird es halt langweilig, dass sich Politiker untereinander bekriegen. Jetzt verbünden Sie sich in einem scheinbaren Kampf gegen die „Datenkrake Google“. Wenn sich jemand dafür interessiert, wie es in meinem Garten aussieht, kann er auch gerne so vorbeikommen.

    PS: Gegen die Veröffentlichung des eigenen Hauses auf StreetView kann man sich wehren: Gegen Nacktscanner und das Erfassen meiner Kontobewegungen nicht. Schöne neue Welt – aber Hauptsache, Google ist Schuld!

  7. Videokameras immer und überall nicht zu vergessen, andere Street View ähnliche Projekte…

  8. Ist halt schön einfach für die Politiker, mit dem Finger auf andere zu zeigen, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

    Danke für den guten Artikel!

    Johannes

  9. Pingback: Soup von MichlD
  10. Nachdem ich Artikel und Kommentare gelesen habe, muss ich feststellen, dass es sich nicht nur die Politiker ein bisschen einfach machen. Sie hier auch.

    Es geht doch wohl den meisten Bewohnern, die ihr Haus schwärzen lassen, weniger darum die Fassadenfarbe und die Gartenzwerge zu verstecken, sondern um andere Dinge, die Privatsphäre und Sicherheit betreffen.

    Warum sollen meine Nachbarn sehen können, was bei mir eventuell für ein Gerümpel hinter der Hecke liegt, dass ich eine Sauna oder ein Schwimmbecken in meinem Garten habe?

    Warum soll ich jedem 24/7 die Sicherheitseinrichtungen an meinem Haus präsentieren, das eine Fenster, an dem das Gitter fehlt, meine Haustür, meine einfach verglaste Terassentür?

    Wen hat es zu interessieren, was in dem Moment hinter meinen Fenster passierte oder welches Auto in meiner Einfahrt parkte?

    Datenschutz sollte immer eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden sein und hier deckt das öffentliche Interesse wohl kaum den Schaden an meinem Heim.

    Löchern Sie bitte die Machthaber mit allen möglichen Fragen, warum sie immer wieder in Sachen Datenschutz versagen, aber beschweren Sie sich doch bitte nicht, wenn sie mal was Richtiges tun, bloß weil sie es aus anderen Gründen getan haben. Das ist nämlich auch scheinheilig.

  11. Der Artikel beschreibt die Stimmungslage recht gut.
    Es ist die Empörung der Offline- Generation darüber dass „dieses Internet“ und die Datenschutzfrage nun auch sie irgendwie betrifft.

    Solange es nur die anderen sind, die zu leiden haben (weil man selbst das Internet kaum nutzt) wie bei der Vorratsdatenspeicherung, kann man schön mit „wer nichts zu verbergen hat“ argumentieren.
    Aber kaum stellt jemand das Bild der eigenen Bude ins Netz (was, wie schon oft gesagt, völlig legitim ist) laufen sie Sturm, weil ja Einbrecher und Pädophile nur auf solch brisante Daten warten.

    Was an der Sache so übel ist, ist dass die Medien dieses Spiel mitspielen und die Verlautbarungen der Politiker (und nun großen Datenschützer) 1:1 weiterverbreiten ohne sie kritisch zu hinterfragen.

  12. Es ist die Empörung der Offline- Generation darüber dass “dieses Internet” und die Datenschutzfrage nun auch sie irgendwie betrifft.

    Ich zumindest gehöre nicht zu der einen Generation und es ist auch nicht so, dass es plötzlich jetzt alle betrifft. Das Internet greift immer weiter in das Alltagsleben ein und bei mehr Berührungspunkten gibt es mehr Konflikte. Wer denkt, solche Bedenken beträfen nur Rentner mit unaufgeräumten Vorgarten und nicht ihn selbst, ist ein Betonkopf.

    Aber kaum stellt jemand das Bild der eigenen Bude ins Netz (was, wie schon oft gesagt, völlig legitim ist) laufen sie Sturm, weil ja Einbrecher und Pädophile nur auf solch brisante Daten warten.

    Private Häuser aus einer Höhe, die nur mit Hilfsmitteln erreicht werden kann, zu fotografieren, ist weder legitim noch legal in Deutschland. Und ja: Einbrecher nutzen solche Dinge und noch ganz anderes.

    Was an der Sache so übel ist, ist dass die Medien dieses Spiel mitspielen und die Verlautbarungen der Politiker (und nun großen Datenschützer) 1:1 weiterverbreiten ohne sie kritisch zu hinterfragen.

    Ich weiß nicht, welche Medien sie konsumieren, aber ich habe schon auch kritische Berichte dazu vernommen.

  13. Man bekommt irgendwie den Eindruck, endlich wieder einen gemeinsamen Feind gefunden zu haben, gegen den man sich auch erfolgreich zur Wehr setzen kann. […] Und Politik und Medien ziehen an einem Strang.

    Das ist alles nur Vorspiel für den eigentlichen Schlag gegen Google, und der heißt „Leistungsschutzrecht“. Wenn die Öffentlichkeit irgendwann erkennt, was die Verlage und die Politik da aushecken, werden Antworten kommen wie „Jetzt geht es dem bösen Spionage-Konzern endlich an den Kragen (ergo Geldbeutel)“. Abwarten…

  14. Pingback: Meine Soup
  15. Nur weil das eine schlecht ist, muß das andere ja nicht gut sein. Klar, Politiker sind Wendehälse – wo ist die Neuigkeit? Nichtsdestotrotz halte ich die lückenlose Erfassung des öffentlichen Raumes für regulierungsbedürftig.

    Falls jemand beunruhigt ist, mit den üblichen Politikern plötzlich auf einer Linie zu stehen: Keine Sorge, die Politiker haben mit Sicherheit eine andere „lex Google“ im Sinn als die Bürger, die sich noch auf derselben Seite wägen. Das wird dann in ein paar Jahren das BVerfG klären – wie immer.

  16. Pingback: Web-Bee
  17. Es ist schon merkwürdig ruhig geworden um Wikileaks und Julian Assange. Könnte natürlich auch sein, dass da im Hintergrund einge Deals abgelaufen sind. Bares, Straffreiheit bei der Vergewaltigungsgeschichte, einen gewissen Status, wie ihn nur Staaten verleihen können, wer weiss? Auf jeden Fall fällt auf, dass nach dem anfänglichen weltweiten Hype, der seinesgleichen suchte, nunmehr gegen Null tendiert. Grüße aus Berlin

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