Minenfeld Soziale Medien: Im Netz der Eitelkeiten

Der Mai lieferte gleich drei Musterbeispiele medialer Tretminen, die sich eignen den so genannten „Streisand-Effekt“ – oder etwas platter ausgedrückt – einen ausgewachsenen „Shitstorm“ auszulösen. Unternehmen und Institutionen haben sich mit ihren Aktionen den Unmut im Web zugezogen und wurden netzgerecht abgestraft.

Die Ralf Bohle GmbH, Inhaber der Reifenmarke Schwalbe, die einen eigenen Händler wegen nicht lizensierter Verwendung von Produktfotos abmahnte. Das Bistum Regensburg, das einen prominenten Blogger abmahnte, als dieser über einen anderen Blogger berichtete, der vom Bistum abgemahnt wurde. Und last but not least, Wolfgang Grupp, der Chef des Sportbekleidungsherstellers Trigema, der in einem Interview mit den Worten zitiert wurde, alle Twitter-User seien Idioten. Der Sturm der Entrüstung brachte Ralf Bohle und Trigema schnell dazu, öffentliche Statements abzugeben um die Wogen zu Glätten. Doch Trigema Chef Grupp trat gleich ins nächste Fettnäpfchen, als er sich in seinem offenen Brief an die „Social Media Gemeinde“ wandte. Das hört die „Gemeinde“ nämlich auch nicht immer gerne. Aber so wichtig man sich im Netz oft nimmt, meist sind die „webbasierten“ Empörungswellen nur von kurzer Dauer. So schnell sie kommen, so schnell ebben sie auch wieder ab.

Achtung, das Social Web ist ein Minenfeld!

Das Social Media Terrain ist gespickt von Fallstricken, Tretminen und Fettnäpfchen. Wer sich hier sicher bewegen will, muss streng darauf achten, welche Worte er wählt um nicht als Greenhorn abgestraft zu werden. Man muss nicht erst Twitterer als Idioten bezeichnen, um sich unbeliebt zu machen.

Ein Beispiel? „Web 2.0“ ist out. Wer das Wort heute noch verwendet, der hat wahrscheinlich auch noch einen Videorekorder unterm Röhrenfernseher stehen oder hält Hackfleisch-Igel für nen tollen Partysnack. Wer nach dem ersten Satz überhaupt noch ernst genommen will, sagt heute „Social Media“. Das ist das Buzzword der Stunde. (Auch wenn das andere schon wieder kritisieren)

Manche sehen es wiederum als einen Fehler, überhaupt von einer „Netzgemeinde“ oder „Social Media Gemeinde“ zu sprechen.

„Es gibt keine Netzgemeinde“ sagte auch unlängst der Künstler und Netzaktivist  Padeluun auf der konstituierenden Sitzung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Bundestag und zog den Vergleich, dass auch niemand von einer „Gemeinde der Straßenbenutzer“ sprechen würde. Auch über Twitter pflichtete man ihm nach diesem Statement sofort bei. Doch Padeluun bezog sich dabei eher auf das all umfassende Thema der digitalen Vernetzung, nicht Social Media im Speziellen.

Es wäre jedenfalls seltsam, die Anwender von Twitter, Facebook oder Blogs, deren Grundfunktion eine möglichst effektive und endgeräteunabhängige vernetzte Kommunikationsbasis darstellt, nicht als „Netzgemeinde“ bezeichnen zu wollen – auch wenn unzählige Strömungen innerhalb dieser großen Nutzerwolke existieren.

Gäbe es keine der gestalte „Netzgemeinde“, wie kämen sonst die Flutwellen der Empörung zustande, die sich als „Streisand-Effekt“ und „Shitstorm“ einen Namen gemacht haben? Natürlich gibt es sie, und sie ist durchaus verschworen. Wer den aktuellen Jargon nicht auf Lager hat, oder nicht dem noch recht überschaubaren Kreis von Meinungsführern folgt, steht schnell im Abseits.

Der Wunsch nach Differenzierung

Man will sich eben abheben vom althergebrachten. Man will nicht so sein wie die „Noobs“, die sich ihre E-Mails ausdrucken lassen und es dann wagen, sich vom „Internet“ ein Urteil zu bilden. Auch ein Fehler von Wolfgang Grupp, der in dem kurzen Interview freimütig zugab, seine Sekretärin würde ihm die wichtigsten Mails vorlegen.

„Internetausdrucker“ – das ist schon ein handfestes Schimpfwort der Szene. Aber muss sich ein gestandener Unternehmer wie Grupp mit Surfen und Mailen selbst beschäftigen? Reicht es nicht, wenn ihm seine Sekretärin das Wichtigste heraussucht?

Die „Netzgemeinde“ liebt den Hauch des Exklusiven. „Wow, Du kennst Dich mit diesem ganzen Web 2.0-Dingens aus? Musst ja ein echter Crack sein.“ Man bewegt sich eben auf einem Terrain, das andere noch nicht kennen. Und man liebt es, endlos über sich selbst zu reden. Marius Kiesgen hat das in seinem Blog „Maingold“ unter „White Blank Page“ sehr gut auf den Punkt gebracht:

Raus aus Buzz, wo sie über Buzz und Social Media sprechen, raus aus Twitter, wo sie über Twitter und Social Media sprechen, und raus aus meinem Blog, wo ich über Blogs gesprochen habe. […] Begrifflichkeiten haben sich verändert, die Klinkenputzer heißen heute Social Media Berater. Sie können Twitter, Facebook, und sogar auch Blogs.

Jetzt kommt meine Eitelkeit hervor: Viele dieser dort beschriebenen „Spezialisten“ und „Berater“ haben selbst doch auch noch nie einen Computer von innen gesehen. Sie wissen zwar wie man „twittert“, ein Facebook-Profil anlegt oder tingeln von einem Social-Media-Event zum Nächsten. Können aber, wenn‘s hochkommt, gerade mal ein gehostetes WordPress-Blog bedienen. Zu Zeiten des „Web 1.0“ war das Web noch denen überlassen, die in der Lage waren mit HTML, PHP oder Javascript eigenhändig zu „scripten“. Erst als das Bloggen begann und man sich nicht mehr um das Konstrukt hinter der Webseite kümmern musste, begann der Boom von Social Media. Aber schon geben sich einige von denen, als hätten sie das Internet selbst erfunden.

Erst kürzlich wurde ich nach diesem Zitat auf Twitter „Die Amerikaner haben das Internet erfunden, die Deutschen regulieren es – jeder macht das, was er am besten kann“ von einem jungen Twitteruser ermahnt, nicht die Amerikaner hätten das Internet erfunden, es gäbe da schließlich in der Schweiz eine Institution, CERN genannt, die das von sich behaupte. Der belehrende Unterton war nicht zu überhören. Gesundes Halbwissen, aber eben nicht korrekt. Auch die jüngere Generation macht mittlerweile den Fehler, das Web mit dem Internet gleichzusetzen statt es nur als einen Teil davon zu sehen. Auf diesem Irrglauben sind nicht nur die Internetausdrucker abonniert.

Aber nicht nur auf Twitter oder in den Blogs kursieren die Eitelkeiten. Auch Netzprojekte wie die Wikipedia sind davor nicht gefeit. Seit Monaten tobt in Deutschland der Streit um die Relevanz einzelner Artikel. Den Admins wird selbstherrliches Verhalten und „Blockwart-Mentalität“ vorgeworfen.

Die Ursachen für die Arroganz mögen vielschichtig sein. Im Netz haben wir halt grundsätzlich Möglichkeiten, die uns das reale Leben nicht bietet. Auch ein kleiner Wicht wird hier zum großen Zampano. Jeder kann sich zu allem äußern und jeder hat die Möglichkeit, gleichberechtigt neben anderen seine Meinung kundzutun. Grundsätzlich ist das auch zu begrüßen und bereichert meiner Meinung nach die Diskussionskultur. Nobody is perfect, streiten wir drum!

Aber das schmeckt nicht jedem. Und so ist ein Funken Arroganz wohl auch aus einer Art Trotz denen gegenüber entstanden, die mit allzu blöden Plattitüden über das Web hergezogen sind: Politiker die stets vom „Internet als rechtsfreiem Raum“ palavern und sich ihrerseits erdreisten mit Halbwahrheiten oder glatten Lügen einschränkende Gesetze durchzupeitschen. Oder Rechteverwerter, Verlage und Journalisten, die immer wieder gerne gegen die neuen Medien hetzen oder Sonderabgaben fordern, weil sie ihre Felle aufgrund veralteter Geschäftsmodelle davon schwimmen sehen.

Wie Repräsentativ ist die „Gemeinde“?

Doch die „Netzgemeinde“ läuft auch Gefahr, sich in Eitelkeiten zu verfangen. Sich in ihrer eigenen Welt zu wichtig zu nehmen. Der Kreis der Wortführer ist noch überschaubar und auch wenn die Nutzerzahlen steigen, bildet die Welt derer, die sich nur oberflächlich oder gar nicht mit diesem Medium beschäftigen, immer noch die große Mehrheit. Das dürfen wir nicht vergessen. Außerhalb des Netzes verblaßt die Macht der User. Mancher fragt sich längt, ob Social Media überbewertet wird.

Ein Beispiel: Die Webseite wahlgewitter.de stellt die politische Stimmung im Netz dar, ermittelt durch positive oder negative Äußerungen über Parteien auf Twitter. Wer ein Doppelkreuz # gefolgt von dem Parteinamen mit einem + oder – in seinem Twitterbeitrag unterbringt, wird gezählt.  So wirkt sich etwa #cdu- negativ, und #piraten+ positiv auf die jeweilige Partei aus.

Screenshot Wahlgewitter (vom 7. Mai 2010)

Screenshot Wahlgewitter (07.Mai 2010)

Doch das Stimmungsbild stimmt mit den realen Ergebnissen nicht überein. Da müsste die CDU wohl um die 5 Prozent-Hürde bangen und die Piratenpartei hätte die absolute Mehrheit inne.

Doch warum reagieren die Unternehmen dann überhaupt, wenn man die User nicht ernst zu nehmen braucht? Ganz so einfach ist das eben alles nicht. Innerhalb ihres Webuniversums haben die User durchaus Macht. Auch Journalisten bedienen sich gerne der neuen Möglichkeiten um schnell an frisches Story-Futter zu gelangen. Und wer möchte schon, dass sein Ungeschick zuerst im Netz und dann auch noch in den Print- oder womöglich Rundfunkmedien die Runde macht?

Ein anderer Grund ist viel trivialer und erheblich schwerwiegender: Die professionelle Vernetzung sorgt dafür, dass auch schlechte Nachrichten im Suchmaschinenranking rasend schnell auf den ersten Plätzen landen. Da hilft auch kein noch so gut bezahlter SEO-Marketier, der gerade erst für viel Beratergeld das Unternehmen mit möglichst vielen Hitworten nach ganz oben gebracht hat.

Warum dann überhaupt ein Engagement im Social Media Bereich? Genügt es nicht einen professionellen Webauftritt und einen tollen Online-Shop zu haben? Nein, nicht mehr. Für die Unternehmen bieten Social Media Plattformen neben allen Risiken natürlich auch Chancen. Chancen mit möglichst wenig finanziellem Aufwand eine große Nutzerschaft gezielt anzusprechen. Und wer nicht als alt und verstaubt dastehen will, der ist dazu verdammt, sich auf das Abenteuer Social Media einzulassen.

Wohl bekommt’s

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2 Kommentare

  1. Guter Artikel.

    Eins möchte ich noch anfügen: Die „Gemeinde“ besteht zu einem hohen Prozentsatz aus den sogenannten Multiplikatoren – zumindest aus Multiplikatoren im Netz (Blogger, Facebook-User mit enormer Reichweite etc.). Es ist aus meiner Sicht heutzutage nahezu fahrlässig, wenn man diese Gefahr/Chance ignoriert.

    Denn inzwischen googelt doch fast jeder vor dem Kauf eines Produkts, dem Anmieten einer Ferienwohnung oder dem Reservieren eines Restaurants nach den Erfahrungen anderer. und wer verfasst eben genau diese Reviews?

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