Attentat von Oslo: Qualitätsjournalismus weggebombt

Auf dem Holzweg © Dennis KnakeAls mich gestern die Bilder aus Oslo erreichten, teilte ich meinen ersten Gedanken in der neuen Social Media Plattform Google+:  „Dieses Bild aus Oslo erinnert mich ein wenig an Oklahoma :-/“. Zu sehen war eine zerstörte Hochhausfront und unzähliger Schutt vor dem Gebäude.

Wie nah ich damit auch dem Hintergrund des Terroranschlags kam, war mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst. Wie wohl viele andere auch, hatte ich gleich Islamisten in Verdacht. Doch am Ende war der Vergleich mit Oklahoma viel zutreffender. Wie jetzt der Attentäter von Norwegen war es auch am 19. April 1995 kein böser Moslem, der die Bombe vor dem Murrah Fedaral Building in Oklahoma City zündete und damit 168 Menschen tötete, sondern ein rechtsradikaler Fanatiker.

Innerlich so voreilige Schlüsse zu ziehen ist eine Sache. Sie lassen sich im Stillen revidieren, überdenken. Doch wenn – wie gestern geschehen – Journalisten, Moderatoren und unzählige angebliche Terrorexperten schon kurz nach dem Anschlag ohne Kenntnis weiterer Fakten über dschihadistischen Terror schwadronieren und damit ein vorbestimmtes Weltbild in den Köpfen ihrer Zuschauer zementieren, hat das eine ganz andere Qualität.

Während die Nachrichtensprecher des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera International gestern nicht müde wurden, zu betonen, dass man noch keinerlei Fakten und Hintergründe zu den möglichen Hintergründen des Terroranschlags von Oslo habe, sah das auf westlichen Fernsehstationen schon ganz anders aus.

Mangelnde Distanz zwischen Fakten und Vermutung

Gegen halb acht am Abend las ein Moderator des deutschen Nachrichtensenders n-tv aus nicht näher genannten Internetforen anonyme Hasspostings vor, die den Anschlag von Oslo als islamische Tat bejubelten und suggerierte dem Zuschauer damit bereits eine Art „Bekennerschreiben“. Wer wollte danach noch Zweifel hegen, dass es nicht der „böse Muselmane“ war.

Auch andere Stationen karrten eiligst irgendwelche Terrorismusexperten heran, die über die möglichen Hintergründe spekulierten: Norwegen sei als NATO Mitglied in Libyen aktiv und spiele auch eine wichtige Rolle im Afghanistan-Krieg. Da sei es durchaus möglich, zum Ziel von Attentätern zu werden. Wow, was für eine bahnbrechende Erkenntnis!

Waren das nicht auch meine ersten Gedanken, die ich als Laie und halbwegs interessierter Nachrichtenkonsument hegte? Danke, dass das noch jemand laut ausgesprochen hat. Dann muss es ja stimmen.

Ich erinnere mich lediglich an einen „Experten“ auf Phoenix, der zwar zugab, dass der Freitag als Anschlagstag auf einen islamistischen Hintergrund deuten könne, ihn aber die Wahl des Ziels stutzig mache. Ein Anschlag in einem zu dieser Zeit nicht mehr sehr belebtes Büroviertel der Innenstadt? Das passe so gar nicht in das Schema eines Islamisten, der es ja darauf anlege, möglichst viele Opfer zu verursachen. Hört hört, erste Zweifel? Leider auf einem Sender, den die Masse im Volk wohl kaum erreicht.

Ein kleiner Satz Fakten, ein ganzer Absatz Spekulation

Und so ist es wenig verwunderlich, das fortan an Bild es islamistischen Terrors die Runde macht.

Schon kurz nach dem Anschlag erscheint eine Meldung auf der Webseite der Gewerkschaft der Polizei, in dem die GdP zu erhöhter Wachsamkeit aufruft. In der nur zwei Absätze langen Meldung beschäftigt man sich ganze zwei Drittel mit der Vermutung, es handele sich um einen islamistischen Anschlag und phantasiert auch mögliche Zusammenhänge mit dem 10. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA zusammen. Auch wenn der Anschlag von Oslo dann irgendwie zwei Monate zu früh statt gefunden hat.

Auch die Mitteldeutsche Zeitung beschäftigt sich in einem Kommentar zum Anschlag ausschließlich mit islamistischem Terror. Lediglich der erste Satz „Das skandinavische Königreich ist zum Ziel von Attentaten geworden.“ basiert auf unbestreitbaren Fakten. Der komplette Rest: reine Spekulation.

Die Rheinische Post aus Düsseldorf macht es nicht viel besser. „Der Terror ist zurück in Europa“ titelt das Blatt am Freitagabend und beschäftigt sich in der ersten Hälfte des Beitrags mit dem Alibi-Hinweis, dass man ja eigentlich noch gar nichts genaues wisse. In der zweiten Hälfte geht es dann aber unbeirrt nur um islamistischen Terror. Bedeutungsschwanger schließt der Artikel mit „Es hat Oslo getroffen, aber täuschen wir uns nicht: Es hätte auch Berlin sein können.“

Selbst nachdem die Fakten auf dem Tisch liegen, kann es die Süddeutsche Zeitung nicht lassen: Statt sich über wachsende Radikalisierung rechter Gruppierungen in Europa Gedanken zu machen, wird sie nicht müde, Beispiele islamistisch motivierter Terroranschläge aufzuzählen. Es wirkt fast schon so, als wolle man sich für den Irrtum rechtfertigen, da doch ein islamistischer Hintergrund viel naheliegender sei.

Fakt ist aber, dass von 249 Terroranschlägen die 2010 in Europa registriert wurden nur ganze drei einen islamistischen Hintergrund hatten. Die Mehrzahl der Anschlage gehen dabei aus separatistische Bewegungen zurück. (Quelle: Terrorismusreport Europol 2010).

Die Onlineausgabe des Österreichischen Standard hingegen sticht aus all der Terror-Kakophonie positiv heraus. In „Der Moslem war’s“ kritisiert Redakteur Michael Vosatka die voreilige Gerüchteküche der internationalen Presse und lobt die Zurückhaltung der norwegischen Behörden.

Ganz klar, der Moslem war’s

Doch in den zahlreichen Kommentarforen der Online Nachrichtenmagazine hatte der Pöbel bereits sein Urteil gefällt. Der Moslem wars, ganz klar.

Das Blog „Politically Incorrect“, eine Brutstätte islamophober Verschwörungstheorien titelte dann auch gleich Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo?  und stellte die waghalsigsten Vermutugen auf.

Einen Tag später tut man sich schwer mit der Wahrheit. Da ist plötzlich nicht mehr von Terror die Rede. Als klar wird, dass es sich um einen blonden blauäugigen Norweger handelt, rechtsradikal und fanatisch, wird der Anschlag mit über 90 Toten plötzlich zu einem Amoklauf „korrigiert“, als Einzeltat eines Irren. Obwohl auch das noch längst nicht klar ist.

Schonmal aufgefallen? Wenn es Islamisten sind, ist es Terror. Sind es Rechtsradikale, spricht man landauf landab gerne von irren Einzeltätern. Das war in Deutschland schon damals zu RAF-Zeiten so, bei dem jeder linksmotivierte Anschlag „RAF-Nah“ war, jeder von Rechts ein verwirrter Einzeltäter.

Auch in den Kommentaren tun sich die PI-Jünger schwer mit der Wahrheit. „Schade, dass es ein blonder Irrer war“, zeigt sich ein Kommentator offen enttäuscht, als hätte ihn ein Anschlag von islamistischer Seite geradezu erfreut.

Liest man die weiteren Beiträge, kann man das laute Klirren geradezu hören, mit dem das verbohrte Weltbild der islamophoben Verschwörungstheoretiker soeben zerbrochen ist.

Stereotype Feindbilder gestern und heute

Wehret den Anfängen: Stereotype Feindbilder gestern und heute.

Aber was will man den Leuten schon vorwerfen? Was sich hier im Web hinter dem Schutz vermeintlicher Anonymität offen zeigt, ist das Ergebnis jahrelanger rechtspopulistischer Vergiftung durch all die Fortuyns, Haiders, Straches, Wilders oder Sarrazins.

All diejenigen Stammtisch-Schwadronierer, die mit ihrer vorgeblichen „Law and Order“-Rhetorik die so genannten „Modernisierungsverlierer“ am rechten Rand aufsammeln und mit ihren Thesen die Volksseele Schritt für Schritt vergiften.

Was man in Deutschland aus gutem Grund über Juden nicht ungestraft sagen darf, wird in Bezug auf andere längst akzeptiert, ist hoffähig geworden. Merke: Auch Thilo Sarrazin konnte jahrelang über Türken, Araber, Afrikaner und „kleine Kopftuchmädchen“ pöbeln, bis ihn erst die Postulierung eines „Juden-Gens“ entgültig zu Fall brachte.

Wenn wie gestern geschehen die versammelten Qualitätsmedien ohne und sogar mit Kenntnis der Faktenlage weiter mit dem Finger auf islamistischen Terror zeigen, ist mit dem Journalismus ganz gehörig was faul.

Neben all den unschuldigen Opfern, die das Attentat von Norwegen auf dem Gewissen hat, wurde gestern auch der Qualitätsjournalismus weggebombt.

Nachtrag: Eine Betrachtung der Boulevardmedien habe ich bewußt vermieden, da es dort ohnehin keinen Anspruch auf Qualitätsjournalismus gibt. So titelt die britische Sun heute in ihrer Printausgabe: „Al-Quaeda Massacre: Norways 9/11„. Soviel Ignoranz ist schon Kriminell. Und dabei habe ich gehofft, Murdoch habe aus seinem News Of The World-Desaster vielleicht gelernt…

Update 23:27 Uhr
Was unterscheidet einen Journalisten der Fuldaer Zeitung von einem König? Während der Journalist in seinem voreiligen Kommentar (Original nur noch im Google-Chache lesbar) Islamisten zur Verantwortung zieht und meint, man müsse unsere Freiheit beschneiden, um sie zu schützen, sagt Norwegens König heute „Freiheit ist stärker als Angst“ und beweist damit wahre Größe. Ich würde mal sagen: Journalist 0: König 1. Die Fuldaer Zeitung löschte am frühen Abend ihren Beitrag wortlos. Stefan Niggemeier bringt es in seiner Bewertung auf den Punkt „Feiges Journalistenpack!“

Mittlerweile ziehen die Gazetten ihre nächste immer wieder gern genommene Trumpfkarte aus dem Hut: Wenn schon der Islamist nicht zieht, dann eben das Internet und die bösen Killerspiele. Cool, die Diskussions hatten wir ja seit Winnenden nicht mehr. In der Politik geht man auch schon mit ersten Anschuldigungen in Richtung Internet in Stellung. Um eine Analogie zu einem bekannten Werbespot zu bringen: Bei der 08/15-Bank, der nichts Originelles mehr einfallen will, hätte es geheißen: „Wir machen das mit den Fähnchen.“

Da die Fuldaer Zeitung auch einen Facebook-Auftritt hat, konnte ich mir nicht verkneifen, hier mal die Kritikfähigkeit zu testen und habe dort den Stefan Niggemeier Artikel verlinkt. Mal schauen was passiert.

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Ein Kommentar

  1. „Rechtsradikale VerschwörungstheoretikerInnen“ kommt etwas zu häufig im Text vor. Wie nennt man eigentlich normale Islam- und Religionskritikerinnen? Oder gibt’s an der Islam-Ideologie nichts zu kritisieren?

    Sure 98:6 „Die Ungläubigen unter den Leuten des Buches (Juden und Christen): Sie sind von allen Wesen am abscheulichsten.“

    Daher: Genosse Heinrich Himmler schwärmte von der „weltanschaulichen Verbundenheit“ zwischen dem National-Sozialismus und dem Islam und ließ in Dresden eine Mullah-Schule errichten. Wo steht der Blogger eigentlich so politisch? Genosse klärt:

    „Nichts ist uns verhaßter als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock!“ – Joseph Goebbels

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