Apple, Marathon und Tatort: Das neue Spießertum im Netz

Gartenzwerg, Nordic Walking und Wetten Dass: Der Dreiklang bürgerlichen Spießertums der Altersgruppe 50-plus. Gut, „Wetten, Dass…“ ist Geschichte, aber Gartenzwerge und Stöckeschubser gibt’s noch immer. Das Positive: Sie sind selten im Netz unterwegs. Ok, einige posten auf Facebook alte Witzchen, über die wir ’98 schon per Mail gelacht haben. Aber sonst nerven sie uns höchstens als „walkende“ Ansammlungen auf der Straße, oder wenn Opa wieder mal am Fenster lungert. Im Internet, da lebt die Moderne! Hier treffen sich die jungen, entspannten Leute. Die digitalen Freigeister, die Revoluzzer. Intellektuell und individualistisch. Oder etwa doch nicht?

Schauen wir mal genauer hin: Jeden Sonntagabend überschemmt das #Tatort Hashtag meine Timeline. Gefolgt von den üblichen #Jauch Rants. (Wieso tut ihr euch das wöchentlich noch an?) Und in der Woche? Da spricht man über die neusten #Apple Produkte und nervt seine Follower mit runtastischen Laufzeiten gefolgt von nach Mitleid heischenden „Mist, ob mein Knie den nächsten Marathon aushält“Tweets. Vom ganzen Vegan- und Craftbeer-Gedöns will ich jetzt (noch) gar nicht reden.

Apple, Tatort, Marathon: Die neuen Spießer im Netz

Apple, Tatort, Marathon: Die neuen Spießer im Netz

Himmelherrgottnochmal. Das ist doch im Grunde genau so verspießert wie diese überakkuraten Heckenstutzer im örtlichen Schrebergarten. Übrigens, da bin ich neulich mal durchgelaufen. Noch nirgendwo habe ich mich so mißtrauisch beäugt gefühlt wie dort. Die Oma in der Blümchenschürze hörte umgehend auf, in ihrem Blumenbeet zu buddeln. In meinem Nacken spürte ich die mürrischen Blicke des älteren Herrn im Unterhemd auf seiner Gartenhausveranda. Und ich könnte schwören, selbst die Vöglein haben das Zwitschern kurzzeitig eingestellt.

Im Netz kann euch das nicht passieren? Dann twittert doch mal, dass ihr euren Kaffee am liebsten aus der Senseo trinkt. Schon kommen sie mit verächtlichen Replies und erzählen Dir was von ihrem fair gehandelten Arabica, der schon wie zu Omas Zeiten, in einer aus Porzellan umfassten Filtertüte seine komplexen Aromanoten nur beim Übergießen mit der korrekten Wassertemperatur von 99,3 Grad Celsius langsam in die darunter bereit gestellte Tasse entfaltet. Ich dachte ja immer, eine French-Press (diese Bodum-Dinger zum Runterdrücken) mache perfekten Kaffeegenuß. „Aber nein, die gibt dem Getränk so eine metallische Note“, musste ich mich kürzlich erst belehren lassen.

Aber das geht nicht nur beim Kaffee so: Begeht niemals den Fehler, euch mit einer ordinären Flasche Bier einer beliebigen Großbrauerei (Igitt, Mainstream!) auf Instagram zu zeigen. „Plörre“, „Gesöff“ wären wohl noch die freundlichsten Kommentare. Nein, es muss das Vollhippername Pale Ale aus der Braumanufaktur Hassenichgehört für 3,90 Euro die 0,33 Liter-Flasche sein.

Oder alternativ irgendwas aus Berlin.

Mein lieber Herr Gesangsverein. So als Normalo gehörst Du im Netz doch längst zur Unterschicht.  Du isst überdies noch Fleisch und bist dummerweise hetero? Dann zieh Dich warm an und überdenke jeden Tweet!

Denn hier sind sie zuhause, die digitalen Spießer. Und sie beobachten Dich!

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Ein Kommentar

  1. Oder alternativ irgendwas aus Berlin.

    Danke. Das machte meinen Tag. :-) Zum Rest: Auch wenn ich auch zu den unsäglichen Runkeeper-/Runtastic-Postern auf Twitter gehöre (gottseidank gehe ich nicht so oft Laufen), hat es bei mir genutzt, meine Filterblase zu entschlacken beziehungsweise mit Filterlisten zu arbeiten, die mir den ganzen Rotz aus der Timeline fernhalten. Sofern Hashtags genutzt werden.

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