Es war von Anfang an etwas nicht in Ordnung mit Dr. Mounir Herzallah, jenem geheimnisvollen libanesische Leserbriefschreiber aus Berlin-Wedding, der während des israelischen Luftkrieges gegen den Libanon von Raketenlagern der Hisbollah unter Schulen und anderen zivilen Gebäuden berichtete. Seine Leserbriefe wurden sowohl im Nachrichtenmagazin „SPIEGEL“ als auch dem Berliner „Tagesspiegel“ abgedruckt und dienten den Kriegsunterstützern vor allem im Web als Hauptargument für die rücksichtslose Bombardierung des Libanon. Doch weder in Telefonbüchern noch Melderegistern ließ sich Dr. Herzallah ausfindig machen – nun wird klar: Der Doktor existiert nicht. Der Leserbrief ist eine Fälschung.
Kaum war der Leserbrief abgedruckt, da verbreitete sich sein Name im Internet wie ein Lauffeuer. „How Hezbollah uses human shields“ titelte die Webseite „Zio Nation – Progressive Zionism and Israel Web Log“ am 1. August 2006 und führte als ersten Beleg den gefälschten Leserbrief an. Aber auch vielen anderen Blogs und Online-Foren diente der Leserbrief als gern genommene Vorlage zur Rechtfertigung der Bombardierung ziviler Ziele im Libanon.
Doch was ich bereits am 4. August unter „Wer ist Dr. Mounir Herzallah?“ vermutet habe, scheint sich zu bestätigen: Dr. Mounir Herzallah gibt es nicht.
Die „Berliner Zeitung“ schrieb bereits sechs Tage später, am 10. August unter dem Titel „Krieg der Bilder„:
Suchte man einen Tag nach dem Abdruck nach dem Namen Mounir Herzallah, so ergaben sich sechs Treffer mit Hinweis auf den Leserbrief. Zwei Tage später lieferte die Suchmaschine Google schon zweihundert Nachweise. Und jetzt? Mehr als elftausend Treffer und zahlreiche Übersetzungen. Was daran liegt, dass seriöse Berichte, wonach die Hisbollah Zivilisten für die Propaganda in den Tod schickt, sonst schlicht nicht existieren. In Amerika gilt Dr. Mounir Herzallah jetzt als wichtiger Zeuge gegen die Hisbollah. […] Libanesen in Berlin sagen, wenn es den Doktor wirklich gäbe, müsste er ernsthaft um seine Gesundheit fürchten. Das Berliner Melderegister verzeichnet ihn nicht. Die Tochter der einzigen Familie Herzallah in Deutschland – Algerier, die in Saarbrücken leben -, sagt: „Es gibt in diesem Land keine anderen Leute mit diesem Namen.“ In Algerien ist der Name verbreitet. Im Libanon überhaupt nicht.
Ähnlich zweifelte auch die „tageszeitung“ noch am selben Tag an der Identität des Mannes. So ist unter dem Titel „Die Große Verschwörung“ zu lesen:
Inzwischen ist der Mann weltberühmt, und seine Geschichte wird in proisraelischen Blogs rund um den Globus zitiert. Das Dumme ist nur: Es ist völlig zweifelhaft, ob es den Mann überhaupt gibt. Beim Tagesspiegel weiß man immerhin, dass es sich um ein Pseudonym handeln soll, aber Interviews wolle der Mann nicht geben: Er fürchte angeblich um seine Unversehrtheit.
Und auch die „Frankfurter Rundschau“ berichtet am 29. August von einer Fälschung:
„Einen Mounir Herzallah gibt es nicht, der Name ist in Deutschland nicht ein einziges Mal registriert. Ob der Fake auf israelische Propaganda zurückzuführen ist oder auf einen tatsächlichen Augenzeugen, darüber wird nun in den Weblogs debattiert. Dass Herzallah ein Phantom ist, war hingegen spätestens klar, nachdem Hisbollah-Anhänger im arabischen Netz mitgeteilt hatten, dass ihre Suche nach dem Mann erfolglos verlaufen sei. Weshalb sie nach ihm gesucht haben, darüber mag spekulieren, wer will. Tatsache ist: Israelis können ihre Regierung öffentlich kritisieren – ohne sich zu gefährden. Und das ist mehr als ein feiner Unterschied.“ Quelle: Bundeszentrale f. polit. Bildung
Für die Propagandamaschinerie ist es heute jedoch unerheblich, ob Herzallah ein Fake war oder nicht. Das Gerücht war gestreut, es wurde tausendfach im Internet verbreitet und diskutiert. Die Richtigstellung kommt zu einem Zeitpunkt in dem es kaum noch interessiert. Und selbst dann heißt es bei einigen Kommentatoren immer noch: Der Autor war gefälscht, die Story wahr.