Kolmanskuppe, die Geisterstadt im Wüstensand

Einst El-Dorado für Diamantenjäger ist sie nun Pilgerstätte der Hobbyfotografen und Kulisse für Endzeitfilme: Kolmanskuppe, die Geisterstadt im Wüstensand. Im Februar bin ich wieder zwei Wochen mit einem Toyota Hilux samt Dachzelt durch Namibia gereist: Von Windhoek aus Richtung Süden, vorbei an der mächtigen Namib-Wüste Richtung Lüderitz, der 1883 vom Deutschen Tabakhändler Adolf Lüderitz gegründeten Hafenstadt im Südwesten des Landes.

Von Lüderitz aus begann die Kolonialgeschichte Namibias, die auch heute noch das einst „Deutsch-Südwestafrika“ genannte Gebiet zeichnet. Ein Überbleibsel: Die Wüstenstadt Kolmanskuppe oder Kolmannskuppe, auf Afrikaans auch Kolmanskop genannt.

Es gibt keinen Campingplatz in der Nähe von Kolmanskuppe. Die einzige Möglichkeit, mit einem Wohnwagen oder Zelt zu übernachten ist auf der Halbinsel Shark-Island in Lüderitz auf dem Gelände des einstigen Konzentrationslagers, dass die Deutschen für die Internierung aufständischer Herero und Nama errichtet hatten. Erst seit kurzem erinnert hier ein Denkmal an die Ermordeten des Deutschen Kaiserreichs. Mehr ist vom einstigen Lager nicht mehr zu sehen, heute dient es als Campsite für Urlauber. 

Ich entscheide mich gegen eine Übernachtung auf Shark-Island. Zum einen ist das kein Ort, an dem ich gerne schlafe und zum anderen ist es für mein Dachzelt viel zu stürmisch. Statt dessen starte ich meine Tagestour von dem rund 120 Kilometer östlich gelegenen Campingplatz „Klein-Aus-Vista“ nahe dem Städtchen Aus.

Aus – Oase am Rande der Namib

Aus ist eine kleine, aber geschichtsträchtige Stadt im Süden Namibias, etwa 125 Kilometer östlich von Lüderitz. Der Ort liegt auf rund 1.480 Metern Höhe am Übergang zwischen der steinigen Namibwüste und den hügeligen Ausbergen – was ihn zu einer Art Oase in dieser ansonsten trockenen, kargen Landschaft macht. Aus wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Versorgungsstation gegründet. Aufgrund seiner strategischen Lage an der Bahnstrecke zwischen Lüderitz und Keetmanshoop spielte der Ort eine wichtige Rolle beim Aufstand der Herero- und Nama (1904–1908) sowie später im Ersten Weltkrieg. 1915, nach der Niederlage der deutschen Truppen, errichteten die südafrikanischen Besatzer in Aus ein Internierungslager für deutsche Kriegsgefangene. Zu Hochzeiten waren dort bis zu 1.500 Gefangene untergebracht. Heute erinnern einige Informationstafeln und Überreste an dieses Lager sowie die Wildpferde, die in der Gegend um Aus auch heute noch zu sehen sind.

Campingplatz Klein-Aus-Vista, von hier startet meine Tagestour nach Lüderitz und Kolmannskuppe. Foto: Autor

Campingplatz Klein-Aus-Vista, von hier startet meine Tagestour nach Lüderitz und Kolmanskuppe. Foto: Autor

Aufbruch nach Kolmanskuppe

Es war schon später Vormittag, als ich meine Sachen zusammengepackt hatte und mit dem Auto vom Campingplatz rolle. Nur wenige Kilometer hinter dem Camp breitet sich vor mir die unendliche Weite der Namib aus: ein Meer aus Gelb- und Ockertönen, durchzogen von der schnurgeraden Teerstraße, die sich  kilometerweit Richtung Lüderitz zieht. Bereits nach den ersten Kilometern wirbelt der Wind feinen Sand über den Asphalt, als würde er ihn mit dem Meer verschlucken wollen – ein Vorgeschmack auf das, was mich in Kolmanskuppe erwartet.

Schon nach wenigen Kilometern treffe ich auf die Wildpferde der Namib, die entspannt am Straßenrand grasen. Foto: Autor

Schon nach wenigen Kilometern treffe ich auf die Wildpferde der Namib, die entspannt am Straßenrand grasen. Foto: Autor

Die Wildpferde Namibias

Es dauert nicht lange, bis am Horizont die ersten Silhouetten auftauchen: die berühmten Wildpferde der Namib. Diese robusten Tiere sind keine Urbewohner Afrikas, sondern ein Relikt der deutschen Kolonialzeit. Um 1904 hatten deutsche Militärpatrouillen und Siedler Kavalleriepferde aus Europa und Südafrika mitgebracht, um die weitläufigen Diamantenfelder und Handelsrouten zu sichern. Als sich die Verwaltung um 1915 infolge des Ersten Weltkriegs änderte und deutsche Truppen abgezogen wurden, entkamen oder wurden viele dieser Pferde ausgesetzt.

In der kargen Namib-Umgebung fanden sie offenbar genügend Futter zum überleben. Heute leben schätzungsweise 150 bis 200 dieser Wildpferde in kleinen Herden entlang alter Karawanenrouten zwischen Aus und Lüderitz. Eine eindrucksvolle Erinnerung daran, wie eng sich Natur- und Kulturgeschichte hier verflechten.

Scheinbar endlos erstreckt sich die B4 zwischen Aus und Lüderitz. Foto: Autor

Auf der Teerstraße ins Niemandsland

Auf der weiterführenden Straße nach Lüderitz spüre ich, wie der Hilux sich gegen die Böen stemmen muss. Die Teerstraße ist gut in Schuss und verliert sich kaum im Sand. Links und rechts erstreckt sich die unendlich erscheinende Wüstenlandschaft, unterbrochen nur von rostigen Absperrbaken und verblassten Hinweisschildern. Links von mir verläuft Eisenbahnlinie, die Lüderitz mit Keetmanshoop verbindet. Sie wird nur für den Gütertransport genutzt. Nach ein paar Kilometern hole ich den Zug dann auch ein und wir liefern uns ein kleines Wüstenrennen. Schnell fährt der Zug nicht. Ich fahre gerade mal 90 km/h und ziehe bald an ihm vorbei. Jeder Kilometer ist begleitet vom Rauschen der Windes, der von der Seite auf mein Fahrzeug trifft.

Kolmanskuppe: Die Geistersiedlung im Wüstensand. Das Tagesticket für rund 20 Euro erlaubt freien Zugang und fotografieren von Sonnenauf bis Sonnenuntergang.

Ankunft in Kolmanskuppe, ein Ort mit Geschichte

Nach gut 120 Kilometern erreiche ich schließlich den Eingang zur Geisterstadt Kolmannskuppe. An dem Ort soll 1905 der Nama Johnny Coleman mit seinem Ochsenkarren im Wüstensand stecken geblieben sein. Er wurde gerettet, den Wagen musste er jedoch zurück lassen. Wenige Jahre später begann genau hier eine der faszinierendsten Geschichten Namibias: der Diamantenrausch von 1908.

Damals arbeitete der Gleisarbeiter Zacharias Lewala im Auftrag der deutschen Kolonialverwaltung am Eisenbahnbau zwischen Lüderitz und Aus. In der Nähe des Bahnhofs „Grasplatz“, nur wenige Kilometer vor Kolmannskop gelegen, entdeckte er einen glitzernden Stein und übergab ihn seinem Vorgesetzten, dem deutschen Bahninspektor August Stauch. Der Stein stellte sich als echter Diamant heraus – und löste einen beispiellosen Ansturm auf das Gebiet aus. Stauch wurde reich. Lewala offenbar nicht.

Die deutschen Behörden erklärten die Region kurzerhand zur „Sperrzone“ – nur wer eine Konzession besaß, durfte hier suchen und siedeln. Binnen weniger Jahre entstand in Kolmanskuppe eine gut ausgebaute Kleinstadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung, Krankenhaus, Schule, Bäckerei, Eisfabrik, Kasino, Turnhalle und sogar einer Kegelbahn – ein europäisches Ideal mitten in der kargen Namib.

Doch der Reichtum währte nicht lange. Ab den späten 1920er Jahren wurden größere Diamantvorkommen weiter südlich bei Oranjemund entdeckt. Die wirtschaftliche Bedeutung Kolmanskuppe schrumpfte rapide. Nach und nach verließen die Bewohner den Ort. 1956 schloss das letzte Haus seine Türen – und der Sand begann, sich zurückzuholen, was ihm einst gehörte.

Zutritt zur Foto- und Filmkulisse im Wüstensand

Der Eingang zur Geistersiedlung ist durch eine Schranke versperrt. Freundlich werde ich begrüßt. Die Tageskarte mit Fotoerlaubnis kostet rund 20 Euro und kann in Bar oder mit Karte bezahlt werden. Dafür hat man von Sonnenauf- bis untergang Zutritt. Nur das Parken ist lediglich bis 13 Uhr möglich. Danach müssen Fahrzeuge vor der Schranke abgestellt werden. Auch das ist kein Problem. Zu Fuß sind es nur wenig Meter weiter.

Der Wind weht mir um die Ohren. Ich muss die Tür festhalten, als ich das Auto verlasse. Ich stehe vor dem einstigen Hauptgebäude der Siedlung. Drinnen die Treppe rauf befindet sich ein Souvenirgeschäft und das Café. Draußen, links vor der Treppe, ist der Eingang zur einstigen Kegelbahn die aussieht, als wäre sie heute Abend wieder im Betrieb: Hier spielte der Kegelklub „Gut Holz“ von 1927.

Ich schaue mich um. Rings um mich herum versinken die Gebäude im Sand. Die Häuser sind mit neuen Schildern gekennzeichnet: Minenverwalter, Ingenieur, Architekt, Direktor und schließlich das Buchhalterhaus, das Serienaffinen Science Fiction Fans aus der Amazon Serie „Fallout“ nach dem gleichnamigen Computerspiel bekannt sein dürfte.

Das Buchhalterhaus von Kolmanskuppe. Hier wurden auch einige Szenen der Amazon Serie „Fallout“ nach dem gleichnamigen Computerspiel gedreht. Foto: Autor

Kolmanskuppe ist ein Paradies für Foto-Enthusiasten und Filmemacher gleichermaßen. Überall bieten sich surreale Szenerien: Sand, der Licht und Schatten in den halb verfallenen Räumen tanzen lässt, rostige Metallstreben, die wie moderne Skulpturen wirken, und verlassene Möbelstücke, die von vergangenen Tagen zeugen. Kein Wunder, dass hier in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Film- und TV-Projekte realisiert wurden, unter anderem:

  • The Mantis Project“ (1987): Südafrikanischer TV-Film mit Sandra Prinsloo, der in den verlassenen Gemäuern eine unheimliche Militärinstallation inszeniert.
  • The Sandgrass People“ (1990): Abenteuerfilm, der die karge Landschaft als Kulisse für eine dramatische Suche nutzt.
  • Dust Devil“ (1992): Ein Horror-Thriller, der die Geisterlegenden Kolmanskoppes aufgreift.
  • Lunarcop“ (1995): Sci-Fi-Action mit verwaisten Gängen und Weltraumambiente im Wüstensand.
  • The King Is Alive“ (2000): Kammerspiel über eine Busbesatzung, die in der Geisterstadt strandet.
  • Samsara“ (2011): Künstlerische Dokumentation, in der die verlassenen Räume als Symbol für Vergänglichkeit dienen.
  • Fallout“ (2024): Amazon-Sci-Fi-Serie, die Kolmanskoppes sandverwehte Interieurs zu einer postapokalyptischen Welt umdeutet.

Ein Blick durch die Fenster. Überall haben sich die Besucher der letzten Jahrezehnte verewigt. Foto: Autor

Gänsehaut im Krankenhaus

Am düstersten und zugleich faszinierendsten Ort meiner Tour stoße ich auf das ehemalige Krankenhaus. Der lange, enge Flur ist gut begehbar, die Räume links und rechts vom Gang sind teilweise bis zu hüfthoch mit Sand gefüllt. Jeder Windstoß lässt die morschen Deckenbalken knarren und knacken, als wollten sie mir ihre Geistergeschichten zuflüstern. In den schmutzigen Scheiben der Fenster, sofern sie noch vorhanden sind, haben sich die zahlreichen Besucher der letzten Jahrzehnte verewigt.

Am südlichen Ende von Kolmanskuppe angelangt liegt die verlassene Schule. Von hier sieht man in der Ferne die alte Diamantmine, doch bis hier reicht die Zutrittsgenehmigung im alten Sperrgebiet nicht.

Zwischen Isolation und Naturparadies – Der Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark

Hier bei Kolmanskuppe beginnt eines der geheimnisvollsten Schutzgebiete des afrikanischen Kontinents: der Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark, besser bekannt unter seinem früheren Namen „Sperrgebiet“. Über ein Jahrhundert lang war diese Region bis runter nach Oranjemund, der südlichsten Kleinstadt Namibias, entlang der rauen Atlantikküste streng abgeschottet – nicht etwa aus Naturschutzgründen, sondern wegen eines ganz anderen Schatzes: Diamanten.

Im Jahr 1908, nach dem sensationellen Fund bei Kolmanskuppe, erklärte die deutsche Kolonialmacht das Gebiet zur militärisch gesicherten Sperrzone. Nur mit Sondergenehmigung durfte man das Gebiet betreten – ein Zustand, der sich auch nach dem Übergang in südafrikanische und später namibische Hände kaum änderte. Die Exklusivität blieb, vor allem für den Diamantenkonzern De Beers, der hier gemeinsam mit dem namibischen Staat bis heute den Abbau betreibt.

Paradoxerweise wurde das Sperrgebiet dadurch zum unbeabsichtigten Rückzugsort für die Natur. In der nahezu unberührten Landschaft leben heute Springböcke, Schakale, Strauße und sogar Wüstenelefanten, und zwischen Geröll und Sand überleben seltene Pflanzen wie Lithops oder die urzeitlich anmutende Welwitschia mirabilis.

Seit der offiziellen Umbenennung in Tsau-ǁKhaeb im Jahr 2008 – ein Name aus der Sprache der Nama, der so viel wie „Zufluchtsort des Nebels“ bedeutet – öffnet sich das Gebiet langsam dem sanften Ökotourismus. Wer es besuchen will, braucht weiterhin Genehmigungen und einen lizenzierten Guide. Doch genau das macht eine Tour durch diese Landschaft so besonders: Man hat das Gefühl, einen Ort zu betreten, den die Zeit vergessen hat.

Bildergalerie Kolmanskuppe


Für mich war es aber wieder an der Zeit, den Rückweg nach Aus anzutreten. Aber ich war gewiss nicht das letzte Mal hier. So viel mehr ist hier im Süden Namibias noch zu entdecken.

 

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