Der ewige Kriegsfotograf: Die stille Wucht des James Nachtwey

Wenn es einen Fotografen gibt, der mich seit Jahrzehnten fasziniert, dann ist es James Nachtwey. Bekannt geworden ist er mir in den 00er Jahren durch den Dokumentarfilm „War Photographer“ von Christian Frei. Der Film ist kein gewöhnliches Porträt eines Fotojournalisten. Es ist eine tiefgreifende Reflexion über das Wesen des Krieges, über Ethik und Verantwortung im Journalismus und über einen Mann, der mit seiner Kamera Zeugnis ablegt – ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu drängen.

"War Photographer" erhältlich als DVD

War Photographer“ ist erhältlich als DVD.

Fast ein Vierteljahrhundert ist seit Veröffentlichung des Films „War Photographer“ vergangen. Die DVD, die ich mir damals gekauft habe, liegt mit einer dicken Staubschicht überzogen in meinem Regal. Doch vor dem Hintergrund anhaltender Konflikte, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der Gewalt im Sudan oder Kongo, dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan und last but not least dem abermaligen Aufflammen exzessiver Gewalt im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern hat der Film an seiner Aktualität nichts eingebüßt. 

Nachtweys Lebenswerk ist davon geprägt, das Unsagbare sichtbar zu machen. Frei gelingt es, Nachtwey in Extremsituationen zu begleiten – in Palästina, im Kosovo, in Indonesien – und dabei gleichzeitig ein intimes Bild dieses Ausnahmekünstlers zu zeichnen.

Was den Film so eindringlich macht, ist weniger der Schockwert der gezeigten Bilder, sondern die stoische Ruhe, mit der Nachtwey sich durch die chaotischsten Szenarien bewegt. Er schreit nicht, er drängt sich nicht auf, er spricht kaum. Und doch ist er präsent – mit einem Blick für Menschlichkeit, selbst im Zentrum des Grauens.

Nachtweys Ethos: Würde statt Voyeurismus

Schon früh im Film wird klar, dass Nachtwey nicht auf der Jagd nach Sensationen ist. Seine Haltung ist geprägt von Respekt und Demut. Er bleibt stets im Hintergrund, wirkt fast scheu – und schafft es dennoch, Bilder zu machen, die unter die Haut gehen. 

Sein Umgang mit Menschen, die gerade das Schlimmste erlebt haben – Verlust, Gewalt, Krieg – ist von einer seltenen Empathie geprägt. Man spürt, dass er nicht nur als Beobachter, sondern auch als Mensch anwesend ist. Und doch wahrt er stets eine professionelle Distanz, die es ihm ermöglicht, seine Arbeit trotz der emotionalen Last fortzuführen.

Könnte ein jeder Mensch auch nur ein einziges Mal mit eigenen Augen sehen, was Phosphor aus dem Gesicht eines Kindes macht oder wie ein verirrter Granatsplitter dem Nebenmann das Bein abreißt, dann müssten endlich alle einsehen, dass kein Konflikt dieser Welt es rechtfertigt, einem Menschen so etwas anzutun, geschweige denn Millionen Menschen. — James Nachtwey

Christian Frei gelingt es, diesen inneren Zwiespalt einzufangen, ohne ihn auszubeuten. Besonders die Kamera, die am Fotoapparat von Nachtwey befestigt ist, vermittelt einen einzigartigen Blick auf seine Perspektive – buchstäblich. Der Zuschauer sieht, was Nachtwey sieht. Und beginnt zu begreifen, was ihn antreibt.

Begleitet wird der Film durch zahlreiche Testimonials von der CNN Korrespondentin Christiane Amanpour, dem Kameramann Desmond Wright, der damals für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitete, den ehemaligen Stern Journalisten Hans-Hermann Klare, die frühere Chefredakteurin von GEO International Christiane Breustedt sowie Nachtweys gutem Freund, dem Drehbuchautor Denis O’Neill. Sie alle teilen ihre ganz eigenen, persönlichen Erlebnisse mit Nachtwey.

Bildnachweis: Pressemappe War Photographer / James Nachtwey

Nachtwey nach 2001: Unermüdliches Engagement

Auch nach dem Erscheinen des Films blieb James Nachtwey aktiv – unermüdlich.

Er war bei den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York am 9. September 2001 dabei und dokumentierte anschließend den darauf folgenden Irakkrieg. Am 10. Dezember 2003 wäre es dann fast passiert: Nachtwey begleitete gemeinsam mit dem *Time*-Korrespondenten Michael Weisskopf eine US-Einheit in einem Humvee durch das Stadtviertel al-Adhamiya in Bagdad. Ein irakischer Aufständischer warf eine Handgranate in das Fahrzeug. Weisskopf versuchte, die Granate hinauszuwerfen, doch sie explodierte in seiner Hand, was zu schweren Verletzungen führte, darunter der Verlust seiner rechten Hand. Nachtwey erlitt Splitterverletzungen, blieb jedoch bei Bewusstsein und dokumentierte noch die medizinische Versorgung Weisskopfs durch den Sanitäter Billie Grimes, bevor er selbst das Bewusstsein verlor.

Beide Journalisten wurden zunächst nach Deutschland evakuiert und später in die USA gebracht. Nachtwey erholte sich vollständig von seinen Verletzungen und kehrte bereits 2004 zurück, um die Folgen des Tsunamis in Südostasien zu dokumentieren. Seine Arbeit führte ihn anschließend in weitere Kriegs- und Krisengebiete wie etwa Darfur oder nach Afghanistan. 

2007 startete er ein besonderes Projekt mit der Organisation TED, das auf die globalen Auswirkungen von resistenter Tuberkulose aufmerksam machen sollte – eine der unterschätzten Gesundheitskrisen unserer Zeit.

Kann Fotografie etwas ausrichten gegen ein menschliches Verhalten, das die Geschichte überdauert? Eine geradezu lächerlich überzogene Vorstellung, sollte man meinen. Und doch ist es genau diese Vorstellung, die mich antreibt, Krieg zu fotografieren. — James Nachtwey

Nachtweys Bilder aus diesen Jahren zeigen erneut seine Handschrift: eine fast klassische Komposition, eine präzise Lichtführung, vor allem aber der Blick für das Individuum im kollektiven Leid. Die Wucht seiner Bilder entsteht nicht durch Blut oder Brutalität, sondern durch das Mitgefühl, das sie wecken.

Ein Vermächtnis in Bildern und Büchern

James Nachtwey wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter mehrfach mit dem *World Press Photo Award*. Doch wer ihn erlebt – sei es durch den Film oder durch seine Bilder – merkt schnell: Es geht ihm nicht um Ruhm. Es geht um Verantwortung.

Diese Bücher sind keine leichte Lektüre. Sie fordern Aufmerksamkeit, Haltung – und sie verändern den Blick auf die Welt.

Für mich persönlich war der Film ein Schlüsselerlebnis. Die Professionalität und Ruhe von Nachtwey, sein feiner, zurückhaltender Umgang mit Menschen, die gerade das Schlimmste durchmachen – das hat mich tief beeindruckt. Seine Haltung zeigt, dass man auch im Lärm des Krieges eine stille Form von Menschlichkeit bewahren kann.

Und dass es Bilder gibt, die zwar nicht schreien – aber dennoch alles sagen. 

„War Photographer“ ist heute aktueller denn je.

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