Web-Sperren: Das große Blendwerk

Unsinnige Web-Sperren, Wahlkampf-Populismus und „Null Nutzen“ im Kampf gegen Kindesmissbrauch

Woran erkennen wir ein „Super-Wahlkampf“-Jahr? Richtig! Die Politik überbietet sich mit blindem Aktionismus, der bei genauerem Hinsehen null Nutzen aber unter Umständen viele Wählerstimmen bringt. Aktuell: Web-Sperren gegen Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten. Welcher normal denkende Mensch würde schon „Nein“ sagen, stellte man ihm die Frage, ob Kinderpornographie aus dem Netz verbannt gehört. Natürlich gehört sie das. Aber das Mittel dazu sind keine – ohnehin recht nutzlosen – Web-Sperren. Wer Kinderpornographie bekämpfen will, muss die Urheber ermitteln und verfolgen. Es ist Augenwischerei zu glauben, mit einem virtuellen Stop-Schild lasse sich Kindesmissbrauch unterbinden. Doch mit populistischem Getöse lässt sich halt einfacher Unterstüzung vom größtenteils Internet-unkundigen Wahlvolk holen um Zensurmöglichkeiten implementieren, die sich später nach gut dünken ausweiten lassen. Gestern wars der Terrorismus, heute ist es die Kinderpornographie und schon jetzt melden andere Interessensgruppen Begehrlichkeiten an, was noch alles gesperrt gehört. Vorbereitung zum Zensurstaat á la China?

Web-Sperre so wirkungsvoll wie ein „Zutritt verboten“-Schild

So einfach stellt sich Familienministerin Frau von der Leyen ihren Kampf gegen Kinderpornographie vor: Man erstelle eine Liste diverser Webseiten die kinderpornografische Inhalte anbieten, implementiere diese Liste bei den Telekommunikationsanbietern und fortan kann kein Nutzer mehr eine solche Webseite aufrufen. Ein „Stop“-Schild erscheint, um den Nutzer auf seine illegalen Begehrlichkeiten hinzuweisen.

So manch anderer Politker wünscht sich dann vielleicht noch obendrauf, gleich die IP-Adresse des Nutzers an das BKA zu senden. Denn wer auf eine solche Webseite wollte, muß wohl etwas illegales im Sinn gehabt haben. Besser man schaut gleich mal nach. Doch das Internet ist nicht so simpel. Die ganze Idee birgt schon vom Ansatz her die unterschiedlichsten Mängel und Unwägbarkeiten.

Nutzlose Sperrlisten

Fangen wir mal bei der Sperrliste an. Wer entscheidet eigentlich, welche Webseiten auf eine solche Liste gehören und welche nicht? Ist diese Entscheidungsquelle überhaupt qualifiziert genug, zu erkennen, bei welchen Webseiten es sich eindeutig um Anbieter von kinderpornografischen Inhalten handelt? Man dürfte dies wohl kaum sofort an eindeutigen Bildern erkennen. Ebensowenig wie die WareZ Szene ihre illegal kopierte Software offen über Webseiten verbreitet, dürften wohl auch Pädophile kaum ihre Inhalte so offen austauschen. Jede Szene hat ihre eigene Sprache, Codewörter und letztendlich Mittel und Wege um an das gewünschte Material zu gelangen.

Das Internet besteht aus weit mehr als nur dem World Wide Web. Wie wenig sich die Ermittlungsbehörden in der Welt des Internets auskennen, zeigte erst kürzlich der Amoklauf von Winnenden. Als Quelle für eine Abschiedsbotschaft bediente man sich ausgerechnet einem Screenshot aus einem Imageboard, einer Community, die sich vorwiegend mit der, ich nenne es mal „kreativen Bildmanipulation“, beschäftigt.

So verwundert es auch nicht, als kürzlich ähnliche Sperrlisten aus Dänemark oder Australien öffentlich wurden, meist vollkommen themenfremde Webseiten darauf zu finden waren, ohne Bezug zu den eigentlich zu sperrenden Inhalten.

…Eine erste Analyse der von Wikileaks veröffentlichten Liste deutscher Angeboten enthüllt eine wirre Mischung von Webseiten mit allgemeinen pornographischen Inhalten, Glücksspielangeboten wie Online Poker, nicht mehr gepflegte Angebote wie Untersuchungen zur Gewalt oder offenbar aufgegebene Domains wie beispielsweise das deutsche Angebot Medical System(Quelle: heise.de)

Ganz nebenbei verwenden die Ermittlungsbehörden anschließend unheimlich viel Energie darin, diejenigen zu verfolgen, die solche Listen und deren Problematik öffentlich gemacht haben, statt den eigentlichen Urhebern auf den Zahn zu fühlen.

Nutzlose Websperren

Aber selbst angenommen, eine solche Sperrliste sei unfehlbar: Wie wirksam ist sie? Überhaupt nicht. Derzeit wird die Blockade wohl über die so genannte DNS-Sperre erfolgen: Die deutschen Provider sperren einfach jede gelistete Webseite, die ein Kunde über ihre DNS-Server aufzurufen versucht. Statt dessen erscheint eine „Stop“-Seite.

Was aber, wenn der Besucher seine Anfrage nicht über die Provider-Eigenen DNS-Server macht? Vielleicht über einen sich im Ausland befindlichen DNS-Server? Schon wird die Websperre wirkungslos. Mit einem anonymisierten Proxy-Server lassen sich dann auch noch die eigenen Spuren verwischen. Sollte also zusätzlich zur reinen DNS-Sperre auch noch überprüft werden, ob der Besucher aus Deutschland kommt,  wäre dies die nächste Möglichkeit zur Umgehung der Blockade. Und mal ehrlich: Jeder, der an solche Inhalte herankommen will, wird sich dieser Mittel bedienen. Tools gegen derartige DNS-Sperren gibt es zu Hauf und kostenlos im Netz. Auch Anbieter wie „Safer-Surf“ oder „Anonymizer“ ermöglichen das anonyme Surfen im Netz. Um Mißverständnissen unbedarfter Leser vorzubeugen, die jetzt nach dem Verbot dieser Tools und Anbieter schreien: Diese sind nicht enwickelt worden, um den Zugang zu Kinderpornografie zu ermöglichen, sondern gegen umfangreiche Internetzensur, Verfolgung und der Abwehr von illegaler Überwachung. So ermöglicht beispielsweise das FireFox Add On „Gladder“ in China den Zugriff auf Wikipedia.

Es ist problemlos möglich, einen beliebigen DNS-Server für Webanfragen zu benutzen. Durch das Abändern des DNS-Server Eintrags, schickt das Betriebssystem die Anfrage nicht an den eigentlichen Provider, stattdessen übernimmt ein anderer Server diese Aufgabe.

Es ist problemlos möglich, einen beliebigen DNS-Server für Webanfragen zu nutzen. Durch das Abändern des DNS-Servereintrags, schickt der User die Anfrage nicht an den eigentlichen Provider. Ein anderer Server übernimmt dies. Grafik: © Dennis Knake

Ausgesperrt bleiben also nur diejenigen, die sich ohnehin nicht mit der Thematik beschäftigen und mehr oder weniger zufällig auf eine solche Seite aufgerufen haben. Natürlich könnte man diese Leute gleich öffentlichkeitswirksam an den Pranger stellen: Das Haus durchsuchen, den Ruf ruinieren und ganz nebenbei die Kriminalstatistik aufhübschen. Frei nach dem Motto: Wer sowas im Web aufgesucht hat, hat bestimmt irgendwas damit zu tun. Im Kampf gegen Kinderpornographie, deren Urheber und wahren Konsumenten ist man damit aber noch keinen Millimeter weiter gekommen.

Contentfilter als Lösung?

Eine weitere Idee könnten Contentfilter sein. Doch wie bitteschön soll das gehen? Eine Software die automatisch erkennt, ob sich hinter einer Webseite strafrechtlich relevante Inhalte befinden? Wo nach soll die Software suchen? Nach dem Stichwort „Kinderpornographie“ wohl kaum. Denn dann wäre schon dieser Artikel bereits verdächtig. Contentfilter müssten also den Inhalt „verstehen“ lernen. Aber genau da stehen wir einem Forschungsfeld gegenüber, das sich noch in den Kinderschuhen befindet. Inhalte verstehen wäre der Traum einer jeden Suchmaschine. Aber auch das weit entwickelte „google“ ist letztendlich „dumm“ und reagiert nur auf eine Anhäufung von Stichworten, kann aber selbst keinen Zusammenhang erkennen. Selbst wenn wir einen Contentfilter haben, der die Zusammenhänge halbwegs versteht: Spricht er auch die Sprache der Pädophilen-Szene? Von den Kosten einer Implementierung derartig hochentwickelter Contentfilter bei Internetprovidern wollen wir mal gar nicht sprechen.

Die Natur des Internets

Das Internet ist mitten im kalten Krieg Ende der 60er Jahre entwickelt worden um selbst nach einem Atomangriff noch Kommunikation zwischen überlebenden Standorten zu ermöglichen. Die gesamte Struktur ist so aufgebaut, dass, sobald ein Datenweg versperrt ist, ein anderer Datenweg eröffnet werden kann. Heute ist das Internet nicht mehr nur Militärs und der Wissenschaft zugänglich, sondern global auch Privatpersonen. Jeder kann an Informationen weltweit gelangen, jeder kann publizieren, jeder hat plötzlich eine Stimme. Dass das nicht jedem Land passt, ist klar. Auch in Deutschland scheint man Probleme mit dieser Art Kommunikationsfreiheit zu haben. Warum wohl sonst wird ein ganzes Volk unter Generalverdacht gestellt und Dinge wie „Bundestrojaner“ und „Vorratsdatenspeicherung“ in die Wege geleitet. Das Internet mag vielleicht in Teilen einzuschränken und überwachbar sein, diejenigen aber, die unbedingt an gewisse Daten heran kommen wollen, werden immer einen Weg finden dies anonym und ohne Sperren zu tun.

Man muss sich fragen, ob es nicht viel sinnvoller wäre, die jetzt verwendeten Gelder und die Energie in die Ausbildung und Ausstattung der Ermittlungsbehörden zu stecken, um diese endlich fit für das Internet im 21. Jahrhundert zu machen. Wieviele der jüngsten „Ermittlungserfolge“ erwiesen sich im Nachhinein als substanzlos? Doch wer einmal wegen derartiger Anschuldigungen am Pranger stand, wird dieses Stigma nicht mehr los. Beruf, Karriere, Familie – alles meist unwiederbringlich zerstört. Währenddessen machen die wahren Verbrecher unbehelligt weiter.

Gestern Terrorismus, heute Kinderpornografie, morgen…

Was kommt als Nächstes, mag man sich zu Recht fragen. Vor nicht allzulanger Zeit war die Terrorismusbekämpfung DAS Argument zur Einführung umfangreicher Überwachungsmaßnahmen gegen die Bürger Sicherheitsmaßnahmen für die Bürger. Die USA nehmen schonmal von jedem Besucher Fingerabdrücke, in Großbritannien bleibt man auf Schritt und Tritt im Visier von Straßenkameras, in Deutschland werden neue Reisepässe mit biometrischen Merkmalen und per Funk auslesbaren RFID-Chips versehen. Auch die Mautbrücken auf unseren Autobahnen dienen nicht mehr nur der Erfassung der LKW. Sie sind ein prima Werkzeug, um umfangreiche Bewegungsprofile von jedem Auto nebst Halter zu erstellen. Die Kennzeichen werden längst automatisiert erfasst. Keine Verschwörungstheorie sondern alltägliche Realität.

In neun Ländern ist das Scannen von Autoschildern bisher gesetzlich geregelt. Dazu gehören Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Bayern. Dabei erfasst die Polizei mit mobilen oder stationären Videogeräten die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Autos. Diese werden elektronisch mit Fahndungsdatenbanken abgeglichen. (Quelle: taz)

Vielleicht ist das Terror-Argument mittlerweile so ausgelutscht, dass man die nächsten Schritte der Überwachung nun mit dem Schutz der Kinder verargumentiert. Wer mag da schon widersprechen? Wir kennen doch die Argumentationsweise: „Bist Du nicht für uns, musst Du wohl ein Terrorist sein. Bist Du nicht für Internetsperren gegen Kinderpornographie, musst Du wohl pädophil sein.“ – so oder so, wer sich kritisch äußert oder auf sein grundgesetzlich verbrieftes Recht der informationellen Selbstbestimmung pocht, „muß ja was zu verbergen haben„. Eine gefährliche Sinneseinstellung.

Doch hier wird längst nicht Schluss sein. Die Internetprovider werden mehr und mehr zu Erfüllungsgehilfen unterschiedlichster Interessensgruppen herangezogen. Längst hat auch die Musik- und Filmindustrie ihre Fühler ausgestreckt, um über die Provider an die Tauschbörsennutzer heran zu kommen. Und so wird es nicht lange dauern, bis dank populistischem Wahlkampfgetöse eben jene Instrumente implementiert werden, mit denen in Zukunft weit mehr zu Filtern und zu Überwachen ist, als es sich so mancher heute vorstellen mag.

Ihr Weltverband IFPI stellt seinen aktuellen Jahresbericht 2008 ( PDF) unter dieses Motto: „2007 wurde die Provider-Verantwortlichkeit akzeptabel, 2008 muss sie Realität werden.“ Daran arbeiten die Anwälte und Lobbyisten der Musikindustrie gerade weltweit. (Quelle: Spiegel Online)

Selten wie zuvor hat das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz bereits so manchen Gesetzesentwurf zu Überwachungsbegehren der Regierung wieder gekippt. Doch unbeirrt davon bombardiert man dieses Land mit immer neuen Ideen zur Kontrolle und Überwachung. Frei nach dem Motto „wenn wir oft genug nachliefern, wird eines dieser Gesetze auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen.“

Man muß sich schon fragen, was die Politik in uns sieht. Ein Volk voll potenzieller Verbrecher, die es zu überwachen und einzuschütern gilt? Denn gerade die Unsicherheit, wegen irgend eines falsch gesetzten Links, wegen irgend einer unbedachten Äußerung zur falschen Zeit am falschen Ort in die Mühlen der Jusitz zu geraten ist es, das sich die Mehrheit eingeschüchtern läßt. Fügsam muss es sein, das Volk. Wer will schon Ärger? Und gerade wenn schwere Zeiten anstehen, kann man es sich nicht leisten, aufmüpfige Untertanen zu haben. Also schweigt und folgt! Klingt hart, ist aber so.

Überprüfe, wen Du wählst!

Die einzige Möglichkeit die einem bleibt: In diesem Wahljahr das Kreuz an der richtigen Stelle machen. Sich nicht von Populismus und knackigen Schlagzeilen in die Irre leiten lassen und die Möglichkeiten des Internets zur Eigenrecherche nutzen. Webseiten wie abgeordnetenwatch.de können da eine gute Hilfestellung zur eigenen Meinungsbildung sein.

* * *

Update 1: 25.03./23.48h
Familienministerin von der Leyen war sich dann auch nicht zu schade, einzelne Provider an den Pranger zu stellen, die sich einer Zusammenarbeit mit der Bundesregierung angeblich widersetzt hätten. Unter anderem wird 1&1 genannt. Dem widerspricht Andreas Maurer, Pressesprecher bei 1&1 aus Montabaur, nun aber wehement in einem Interview mit der Tagesschau. Demnach habe man bereits Anfang März dem Familienministerium eine Zusammenarbeit angeboten, auf eine Antwort warte man bis heute. „Die Aussage der Ministerin, dass wir uns einer Sperrung widersetzen, stimmt einfach nicht“, heißt es in dem Interview. Es bedarf nicht viel Phantasie, zu erkennen, mit welchen Bandagen hier gekämpft wird um Anbieter öffentlichem Druck auszusetzen. Ganz egal ob es hier noch rechtlichen Klärungsbedarf gibt, oder nicht.

Update 2: 27.03./00.02h
Lesenswert: Das Interview von netzpolitik.org mit dem Betreiber von Wikileaks.de nach der Hausdurchsuchung

Wie hat Dir dieser Beitrag gefallen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert