Artikeldebatte im Netz: Die Vertreibung aus dem Paradies

Früher, da war das Internet noch in Ordnung. Man konnte stundenlang im Web surfen, ohne von Werbebannern und hinterlistigen Abofallen behelligt zu werden. Man konnte diskutieren, ohne Abmahnungen zu fürchten. Man tauschte Musik mit Freunden, ohne ein Sondereinsatzkommando der Polizei zum Frühstück zu begrüßen.

Es gab auch keine Politiker, die glaubten, das Internet mit „Verhaltensregeln“ (das nannten wir Netiquette), „Notrufknöpfen“ (das nannten wir abuse-Mail) und sinnfreien Stoppschildern (das nannten wir dämlich) neu erfinden zu müssen. Damals hieß meine Webseite auch schlicht und einfach noch die Homepage. Irgendwann kam dann eine neue Software, die alles etwas einfacher machte. Fortan nannte ich mein digitales Tagebuch Blog, die Kurzform von Weblog. Das Webtagebuch. Das Blog.

Doch auch dies wollen uns die Neuankömmlinge im Netz nun madig machen. Wie Conquistadoren in einer neuen Welt besetzten sie das Web und veränderten es nach ihrem Gutdünken. Sie stellten neue Regeln auf und behaupteten, es habe nie welche gegeben. Sie hielten die Eingeborenen für gesetzlos und unorganisiert und zwangen ihnen ihre Lebensweise auf. Sie verseuchten einst lesbare Landschaften mit Nutzungshinweisen, Disclaimern, Bannern, Popups, lästigen Werbefilmchen, regionalen Einschränkungen und Unmengen von Spam. Sie verhängten Verbote und unterdrückten die einst freien Netizens in ihrer friedlichen freien Entfaltung. Und jetzt meinen sie auch noch, es müsse plötzlich der Blog heißen und nicht das Blog.

Fragt man einen „Der Blog“-Verfechter nach seinen Beweggründen warum denn das Blog so falsch sein soll, sind die Begründungen dünn bis skurril. Zugegeben, seit 2006  erlaubt der Duden beide Nutzungen, stellt aber das Blog an erster Stelle. Ich frage mich sowieso, was die Macher der deutschen Sprachbibel geritten hat, einem Blog auch den maskulinen Charakter zuzuschreiben.

Ein Kollege sagte mir kürzlich, der Blog klinge doch einfach viel besser. Nun, da bin ich anderer Meinung. Es klingt ungefähr genauso gut wie stumpfe Fingernägel auf einer verkrampft gehaltenen Hand, die genüßlich eine alte Schultafel herunterschrabbt.

Dem Blockwart sein Blog

Heute morgen las ich dann eine ganz besonders skurrile Begründung: Es hieße ja auch schließlich „der Block“. Was, so frage ich mich, hat ein Block mit einem Blog gemein? Ist das etwa der lahme Versuch, das „Weblog“ einem Schreibblock gleichzusetzen und somit das maskuline „der“ herzuleiten? Wie man es auch dreht und wendet: Das „Log“ in Blog kommt von „Logbuch“ oder auf deutsch „Tagebuch“. Allein die Tatsache, dass man sein Tagebuch auch mit Hilfe eines Schreibblocks gestalten kann, macht daraus nicht der Tagebuch.

Das Web und nicht der Web!

Wieso sagen wir eigentlich „das Web“? Weil sich Web von Netz herleitet. Ein Konstrukt, indem alles miteinander verbunden ist. Wie das Netz einer Spinne. Keiner würde auf die Idee kommen und behaupten, es handele sich hierbei um „der Web“. Auch wenn klangliche Ähnlichkeiten mit „Depp“ nicht zu verleugnen sind.

Die App und nicht das App!

Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Kollegen, ob es denn „die“ oder das „App“ hieße. Und tatsächlich, auch hier wurde eine totale Unbefangenheit, gar Naivität im Umgang mit den Begrifflichkeiten deutlich. App ist schlicht die Kurzform für Applikation. Die Applikation. Ein anderes Wort für Applikation ist Software. Die Software. Oder auf deutsch: das Computerprogramm. Aber nur weil es das Programm ist, wäre niemals jemand auf die Idee gekommen, das Applikation oder das App zu sagen.

Willkommen in einer fremden Welt

Nun begründen andere die Rechtmäßigkeit von der Blog einfach damit, dass sich dies in gewissen Kreisen nun einfach durchgesetzt habe und der Duden nicht die deutsche Sprache definiert, sondern die real gesprochene Sprache auch abbilde. Aber welche Kreise sind das? Soweit ich es sehe kommt der Blog von all denjenigen, die das Internet nicht mit der Muttermilch aufgesaugt haben.

Es kommt von denen, die jetzt erst ihre ersten wackeligen Schritte in Sachen Internet, digitale Kommunikation oder Austausch mittels Social Media Plattformen machen. Man würde sie ja gerne herzlich willkommen heißen, aber sie trampeln umher wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen.

Ihnen ist die digitale Welt, ihre Bräuche und Sitten noch fremd. Und sie haben auch kein Gespür für die Begrifflichkeiten dieses Universums, die Assoziationen, die gewachsenen Strukturen und Herleitungen aus der realen Welt. Für sie sind Begriffe wie „Blog“ oder „App“ alles tote Kunstwörter ohne tieferen Sinn. Und genau deshalb geben sie ihnen diese falschen Artikel.

Schon jetzt zeigen Umfragen auf Facebook, dass die Mehrheit in Richtung der Blog tendiert. Aber die Mehrheit der Deutschen Zeitungsleser liest auch BILD. Trotzdem wird dieses Blatt dadurch nicht richtiger.

Wie man es dreht und wendet: Das Blog ist die einzig richtige Antwort auf die Frage nach einem Artikel. Und das wird sich nur dann ändern, wenn die fremden Eroberer die digitalen Eingeborenen aus ihrem einstiegen Paradies endgültig vertrieben haben und die nachgewachsene Generation den falschen Artikel kritiklos übernimmt.

Für uns Alteingesessene birgt es vielleicht auch Chancen: An der Verwendung des falschen Artikels erkennen wir sofort, ob wir einem Blender gegenüberstehen, wenn uns mal wieder einer seine Dienste als Internet-Vollprofi verkaufen will.

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